Eisspieler in der Sonnenglut

Im Sommer saust der Puck über Beton: Neusser Nachwuchsspieler der Eishockey-Vereine trainieren auch bei Hitze. Wer Profi werden will, muss drei Stunden täglich den Schläger schwingen. Immer mit dabei: Stolze Eltern auf der Tribüne

AUS NEUSS LUTZ DEBUS

Was macht ein Schneemann im Sommer? Diese und ähnliche Fragen stellen sich staunende Besucher der Eissporthalle in Neuss in diesen Tagen. Der Puck saust über das Spielfeld. Die Acht- bis Zehnjährigen hinterher. Rot spielt gegen Grün. Augenpaare blitzen gefährlich zwischen den Gitterstäben der Visire, Hockeyschläger krachen aneinander. Caroline, 11-jährige Goalkeeperin, geht in die Knie, begräbt die schwarze Scheibe unter ihren Schienbeinschonern. Sekunden später pfeift Trainer Oliver Gerst zur Pause. Die Kinder gleiten zu ihm, nehmen ihre Helme ab. Hochrote, schweißnasse Köpfe kommen zum Vorschein.

Die „Kleinschüler“ des Neusser Eishockeyvereins trainieren auch im Juli. In der Halle herrschen mollige 28 Grad Celsius. Das Spielfeld ist aus Beton. Die üblicherweise darüber liegende Eisfläche wurde schon im April abgetaut. Und deshalb haben die Kinder an den Füßen keine Schlittschuhe sondern Inline-Skates. Ein Härtetraining, gibt Oliver Gerst zu. „Die Luft ist im Sommer irgendwie anders. Und auf Inlinern braucht man mehr Kraft.“ Dazu kommt, dass die Kinder die im Eishockey übliche gepolsterte Montur tragen müssen. Auf Eis, so gibt der Trainer zu bedenken, sei ein Sturz in der Regel nicht tragisch. Auf Beton aber werde die Bewegung abrupt gestoppt. Deshalb sei die gute Schutzkleidung der Spieler trotz der hochsommerlichen Temperaturen zwingend notwendig.

Andere Vereine in der Region haben es besser. Bei den Kölner Haien trainieren nicht nur die Profis sondern auch die Kinder das ganze Jahr auf Eis. „Aber eine Eiszeit ist teuer“, wendet eine begleitende Mutter ein. Obwohl die Stadtwerke Neuss Betreiberin der Halle ist, der Strom quasi aus der Steckdose kommt, gibt es Gefrorenes nur halbjahresweise. So bleibt den Neussern ab Mai der Steinboden. Aber auch mit Rollen unter den Füßen könne man lernen, eine Mannschaft zu sein, gibt Trainer Gerst zu bedenken. Trotz eisfreiem Sommer spielen die Kleinschüler ganz oben in der Landesliga mit.

Cedrik will später Profi werden. Ob er dann keine Angst um seine Zähne hätte? „Die Profis spielen ohne Schutzgitter. Dann passiert schon mal was. Das würde ich natürlich nie machen.“ Er habe ja schon gelernt, trotz der Gitter vor den Augen den Überblick zu behalten, erklärt der 9-Jährige lässig. Seine Mutter sitzt hinter der Bandenwerbung und fiebert selbst bei diesem Trainingsspiel mit.

Natürlich weiß sie, dass die Träume ihres Sohes nicht ganz realistisch sind. Nur wenigen wird der Aufstieg in das große Eishockeygeschäft gelingen. Aber trotzdem steht sie schon mal mitten in der Nacht auf, um mit ihrem Sohn an einem Sonntagmorgen um 6 Uhr in Herne zu sein.

Trainer Gerst glaubt, dass das Engagement der Eltern letztlich über den sportlichen Erfolg der Kinder entscheidet. Eine regelmäßige Teilnahme am Trainings- und Spielbetrieb sei nur durch die sie zu gewährleisten.

Aber auch dann seien die Chancen, Profi zu werden, nicht hoch. Bevor eine internationale Karriere beginnt, müsse ein Spieler 10.000 Trainingsstunden hinter sich gebracht haben. „Das sind zwei bis drei Stunden am Tag“, rechnet Gerst den zuschauenden Eltern vor. In Finnland spiele jeder zehnte Einwohner Eishockey. Da gebe es genug Verrückte, die so viel Zeit investieren. In Deutschland sei dies die ganz große Ausnahme.

Trotzdem hört ein Vater, der vor Aufregung auf seinem Tribünenplatz hin und her wippt, nicht auf, zu schwärmen: „Judo war nichts für ihn. Fußball sowieso nicht. Jetzt vom Eishockey ist er nicht wegzukriegen.“ Wenn der Sohn in der Klasse erzählt, dass er Eishockey spielt, mache das bei den Mitschülern schon mächtig Eindruck. Und gefährlich sei dieser Sport doch auch nicht. „Die sind doch gut verpackt.“ Ein Junge hat dann aber doch einen Schläger auf die Finger bekommen. Jammernd rollt er zum Trainer. Der tröstet ein wenig und gießt Eiswasser in den Fäustling. „Wirst merken, das hilft.“