Der Fall Röttgen
: Gekaufte Politik

Schlimmer kann man die Wählerinnen und Wähler nicht verhöhnen: Ob Norbert Röttgen ein guter Bundestagsabgeordneter ist oder nicht, sollten doch die Wahlberechtigten entscheiden, erklärt Hendrik Wüst, immerhin Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU. Doch im Fall Röttgen hatten die Wahlberechtigten überhaupt keine Wahl: Erst im Mai hat der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag erklärt, dass er künftig als Lobbyist für den Bundesverband der Deutschen Industrie tätig sein will. Eine solche Ankündigung noch vor der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres hätte die Christdemokraten wohl Stimmen gekostet.

KOMMENTAR VONANDREAS WYPUTTA

Denn die Doppelrolle Röttgens hat mehr als ein Geschmäckle – der Lobbyistenjob des promovierten Juristen ist ein Skandal. Der Bundesverband der Deutschen Industrie kauft sich einen der engsten Vertrauen der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel – nicht mehr, nicht weniger. Mag Röttgen auch seine Funktion als „Parlamentarischer“ niederlegen, bleibt das Kalkül seiner neuen Auftraggeber dennoch klar: Natürlich soll der als Wirtschaftsexperte geltende Rheinländer seine ausgezeichneten Kontakte, die er als Mitglied des innersten Führungszirkels der Regierungschefin erworben hat, künftig für den BDI gewinnbringend nutzen.

Völlig zu Recht warnen nicht nur die ehemaligen BDI-Präsidenten Rogowski und Henkel vor unlösbaren Interessenkonflikten, völlig zu Recht mahnt nicht nur Bundespräsident Horst Köhler eine klare Trennung zwischen Politik und Lobbyismus an. Mag der Spagat zwischen Politik und Wirtschaft auch legal sein – gefragt sind die Parlamentarier selbst. Nicht nur Norbert Röttgen muss auf sein Bundestagsmandat verzichten. Doppelfunktionen, etwa in Aufsichtsräten und Vorständen, sind einfach anstößig: Sie vermitteln den Eindruck, die Politik sei käuflich.