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Lichtenberg soll bunter werden

Der Bezirk gilt seit vielen Jahren als Hochburg der Neonazis. Ein Bündnis aus Bürgergruppen, Jugendklubs und Antifas versucht jetzt, mit einer Kampagne die rechte Hegemonie zu brechen

von Johannes Radke

Die Geschäftsräume im Erdgeschoss stehen leer, am Balkon im ersten Stock flattert eine ausgeblichene Regenbogen-Fahne. Das vierstöckige Haus Nummer 122 in der Lichtenberger Weitlingstraße unterscheidet sich äußerlich nicht von den anderen Mietshäusern im Kiez. Kaum vorstellbar, dass dieses Gebäude vor 16 Jahren von Neonazis besetzt wurde, die von hier aus ihre Aktionen planten. Bei einer Razzia im April 1990 fand die Polizei hier ein riesiges Waffenarsenal und rechte Propaganda. Drei Monate später demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen den mittlerweile deutschlandweit bekannten Neonazitreffpunkt. Im November des gleichen Jahres wurde er geräumt.

Auf den ersten Blick erinnert im Weitlingkiez kaum noch etwas an diese Zeiten. Den Ruf als rechte Hochburg hat der Bezirk aber immer noch inne. Läuft man die Straße Richtung S-Bahnhof Lichtenberg, weiß man, warum: „C4 for Reds“ steht dort groß an der Wand, „Plastiksprengstoff für Rote“. An den vielen NPD-Aufklebern stört sich hier niemand. Auf einer Bank sitzt ein Jugendlicher mit einem T-Shirt der verbotenen Rechtsrock-Band „Landser“. Alltag im Weitlingkiez.

„Es gibt eine sehr aktive rechte Szene in Lichtenberg“, bestätigt Timm Köhler von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). Als der Afrika-Rat kürzlich vor „No-go-Areas“ für Ausländer warnte, war Lichtenberg mit auf der Liste. Im Mai wurde hier der kurdischstämmige Politiker Giyasettin Sayan (Linkspartei) nach eigenen Angaben rassistisch beschimpft und verprügelt. Nicht weit entfernt vom S-Bahnhof löste die Polizei im April ein Rechtsrock-Konzert mit rund 100 Besuchern auf.

Einige Anwohner wollen sich nun nicht länger damit abfinden, dass ihr Bezirk von Rechten dominiert wird. Ein breites Bündnis aus Antifa-Gruppen, Gewerkschaften und Jugendklubs hat eine Kampagne ins Leben gerufen, um sich gegen die rechten Strukturen zu wehren. Sie befürchten, dass bei den Wahlen im September die NPD die Drei-Prozent-Hürde überspringen könnte und damit in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einzieht. Bei den letzten Bundestagswahlen erhielt die rechtsextreme Partei in Lichtenberg bereits 3,2 Prozent der Stimmen – fast doppelt so viele wie im Berliner Durchschnitt.

Unter dem Motto „Hol dir den Kiez zurück – Lichtenberg gegen rechts!“ sind bis September zahlreiche Veranstaltungen geplant. Mit Demonstrationen, Infoveranstaltungen, Zeitzeugengesprächen und Partys sollen die Anwohner für das Thema Rechtsextremismus sensibilisieren; ein Problembewusstsein soll so geschaffen werden. „Ziel der Kampagne ist es nicht nur, den Einzug der NPD in die BVV zu verhindern, sondern auch, dass die Kneipen ‚Kiste‘ und ‚Piccolo‘ geschlossen werden“, sagt Lars Laumeyer, Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Die Kneipen gelten als Treffpunkte der rechten Szene.

„Wir vermuten, dass es sich bei den Verantwortlichen für die zahlreichen gewalttätigen Überfälle auf alternative Jugendliche in Friedrichshain und Lichtenberg im letzten Jahr um organisierte Neonazis aus dem Umfeld des Weitlingkiezes handelt“, so Laumeyer weiter. Nach Angaben des Bezirksamtes gab es in Lichtenberg allein im vergangenen Jahr 142 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund, 37 davon waren Übergriffe auf Personen.

Heute ist die erste Infoveranstaltung über rechte Strukturen in Lichtenberg geplant, morgen findet eine Demonstration statt. Den Abschluss der Kampagne im September bildet ein Openair-Konzert direkt auf der Weitlingstraße. Unterstützung erhält das Bündnis auch von Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linkspartei). Besonders wichtig sei ihr, dass auch die Gewerbetreibenden aus dem Kiez einbezogen werden. Zumindest in einem Fall dürfte das schwierig werden: Detlef Mirek, der Wirt der Kneipe „Kiste“, hat in der Vergangenheit an rechten Aufmärschen teilgenommen und ruft mit seiner rassistischen Initiative „Fresst keine Döner“ zum Boykott türkischer Imbissbuden auf. Die dazugehörigen T-Shirts kann man in seinem Lokal kaufen und einmal im Jahr auch ganz offen am Stand davor – auf dem jährlichen Weitlingstraßenfest.

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