Die Katastrophe, die vom Himmel fiel

Eine Berlinerin und ihre Kinder wollten Verwandte im Süden Libanons besuchen. Dort überraschte sie der Krieg.Auf Nebenstraßen konnten sie über die Grenze nach Syrien fliehen. In Damaskus warten sie nun auf die Rückreise

Mohamad Hoteits Worte überschlagen sich, so aufgeregt ist er. „Ich bin sehr besorgt um meine Familie.“ Seine Frau war vor zwei Wochen gemeinsam mit ihren drei Kindern zu ihren Eltern nach Bablieh im Süden Libanons in Urlaub gefahren. Wie ihr Mann stammt sie von dort, lebt aber seit vielen Jahren in Deutschland und hat den deutschen Pass. Am Mittwoch konnte der 57-jährige Berliner Ingenieur zuletzt mit seiner Frau telefonieren, die Verbindung ist oft schlecht.

„Es hat ja keiner ahnen können, was dort passiert, dass diese Katastrophe vom Himmel fällt!“ Hoteit spricht hastig. Immer wieder stolpert er über seine Worte. Die etwa 7.000 Einwohner große Stadt Bablieh sei vollkommen zerstört. Strom, Wasser, Nahrungsmittel gebe es nicht mehr. „Gott sei Dank hat der Ort einen Brunnen, sonst wären viele schon verdurstet“, sagt Hoteit. „Mit der Nahrungsversorgung helfen sich die Nachbarn untereinander, aber was ist, wenn der Krieg weiter andauert?“

Wie Hoteits Familie ergeht es vielen Berlinern. Mit mehr als 15.000 Menschen ist die deutsche Hauptstadt die größte libanesische Gemeinde in der Bundesrepublik. Wie viele Berliner genau sich noch in der Region aufhalten, kann auch der Integrationsbeauftragte Günter Piening zurzeit nicht sagen.

Hoteits Frau und seinen drei Kindern ist am vergangenen Dienstag gemeinsam mit vier Nichten und Neffen die Flucht nach Syrien gelungen. In einem kleinen Pkw fuhren sie durch Dörfer, Felder und über das Gebirge. Hoteits Schwester und andere Familienangehörige mussten in Bablieh zurückbleiben. „Mehr als ein Auto wäre viel zu gefährlich gewesen“, sagt Hoteit, „die greifen alles an, was sich bewegt.“ Der Wagen mit seiner Familie sei mehrfach von Flugzeugen verfolgt und dreimal beschossen worden. „Nur durch ein Wunder sind sie entkommen“, so Hoteit. Es hätte auch anders ausgehen können: Am Dienstag ist Hoteits 22-jähriger Cousin in Bablieh ums Leben gekommen.

Seine Familie konnte auf der Flucht nur das Nötigste mitnehmen: Pässe, Geld und die Kleider, die sie am Leib trugen. Die Flucht sei allein durch die Hilfe eines Bekannten möglich geworden, der die Region sehr gut kenne, sagt Hoteit. „Sie fuhren über viele Geheimwege. Anders wäre die Flucht gar nicht möglich gewesen, die Straßen sind ja alle zerstört.“ Durch das Gebirge und von dort weiter bis zur libanesisch-syrischen Grenze floh seine Frau mit ihren Kindern und Verwandten bis in die Hauptstadt Damaskus. „An der Grenze stauen sich hunderttausende Flüchtlinge, die darauf warten, nach Syrien einzuwandern“, schildert Hoteit die Lage. Nur über „gute Beziehungen“ des Bekannten sei es seinen Angehörigen gelungen, zügig über die Grenze zu kommen.

Nach acht Stunden erreichte die Familie die deutsche Botschaft in Damaskus. Dort wartet sie nun auf die Ausreise nach Deutschland. Seither hat Hoteit nicht mehr mit seiner Frau sprechen können. Gestern erfuhr er per SMS, dass die Heimkehr weiter ungewiss ist. „Die Botschaft ist überfordert“, sagt er. Natürlich sei seine Frau erleichtert, in Damaskus zu sein, aber sie wünsche sich endlich „zurück zum Leben in Berlin“. Eva Gnädig

brennpunkt SEITE 2 bis 4