Agit-Prop mit Zombies

RETROSPEKTIVE Schwule Untote und Sexterroristen: Das B-Movie widmet dem schwulen Filmemacher Bruce LaBruce eine Reihe

VON TIM CASPAR BOEHME

Nackte Männer wälzen sich übereinander. Sie sind blutverschmiert und machen sich an abgetrennten menschlichen Beinen zu schaffen, durchaus auch in kannibalischer Hinsicht: Die Männer sind Zombies. Im Gewühl ist mitunter nicht zu erkennen, welche der gezeigten Körperteile zu intakten Menschen gehören und welche nicht.

Diese Szene aus „Otto; or Up With Dead People“ (2008) des kanadischen Filmemachers Bruce LaBruce, dem das Kino B-Movie diesen Monat eine Retrospektive widmet, ist zunächst einmal eine schöne Illustration dessen, worum es bei Horror geht: die Auflösung von Grenzen – im Fall von Zombies ist es in erster Linie die Grenze zwischen Toten und Lebenden.

Auf einer anderen Ebene ist diese Orgie auch ein Kommentar zur Pornoindustrie. Denn das Fest der Zombies wird in dem vor Berliner Kulisse gedrehten Streifen „Otto; or Up With Dead People“ als Film im Film inszeniert: Eine lesbische Filmemacherin dreht gerade den politischen Porno-Zombie „Up With Dead People“, als der Protagonist Otto, ein echter Zombie, zufällig zum Team stößt.

Bruce LaBruce ist ein schwuler Regisseur, der wegen seiner bevorzugt drastischen filmischen Mittel als Enfant terrible gilt. Das Zerstückeln von Körpern gehört bei ihm praktisch ins Gestenrepertoire. Schon in seinem ersten international erfolgreichen Filme „Hustler White“ von 1996 ist eine Szene zu sehen, in der der Hauptdarsteller Tony Ward – ein ehemaliger Geliebter Madonnas – in der Rolle des Strichers Monti einen Kollegen überfährt und den verzweifelt Schreienden seinem Schicksal überlässt. Ein Passant eilt zu Hilfe und hebt ratlos den vom Autoreifen abgerissenen Fuß auf.

Statt Hochglanz-Porno bietet LaBruce Trash im Stil des Independent-Films. Der an der Filmhochschule Toronto und der New York University ausgebildete Regisseur will mit seinen Filmen sowohl politische Kommentare liefern – ein wiederkehrendes Thema ist der homophobe Konsens heutiger Gesellschaften – als auch die Pornoindustrie und ihre Mechanismen kritisieren.

In expliziter Form politisch ist etwa sein Film „The Raspberry Reich“ über eine schwule Terroristengruppe in Berlin, die sich nach den Vornamen der Baader-Meinhof-Gruppe nennen – die Anführerin und einzige Frau heißt Gudrun – und sexualpolitisch vom dissidenten Psychoanalytiker Wilhelm Reich inspiriert sind.

Mit seinen Filmen wird LaBruce oft zu bedeutenden Filmfestivals eingeladen. „Otto; or Up With Dead People“ und „The Raspberry Reich“ waren beide auf der Berlinale zu sehen. Nach Berlin bestehen auch ansonsten enge künstlerische Beziehungen. So führte er am Theater Hebbel am Ufer Regie in Arnold Schönbergs Melodrama „Pierrot Lunaire“, einem Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts, in der Hauptrolle besetzt mit Susanne Sachsse, die in „The Raspberry Reich“ als Gudrun zu sehen ist. Das Resultat, eine wüst-komische Parallelgeschichte, die den Originaltext von Schönbergs Vertonung recht frei illustriert, ist ebenfalls in einer Filmfassung im B-Movie zu sehen.

Einen Überblick bietet der Auftakt der Reihe: Angelique Bosios Dokumentarfilm „The Advocate of Fagdom“, eine Hommage an Bruce LaBruce, der darin ebenso zu Wort kommt wie die geistesverwandten Kollegen Harmony Korine, Gus Van Sant oder John Waters. Der Geehrte selbst wird bei der Vorführung von „Pierrot Lunaire“ am 22. Februar zugegen sein.

■ Sa, 1. 2. bis Do, 27. 2., B-Movie, Programm: b-movie.de