Nur einer hat noch nicht angebissen

FILM IN BERLIN Ganz Deutschland macht es, aber Berlin und Brandenburg sind besonders eifrig: Mit dem „Medienboard“ will die öffentliche Hand Produzenten von Kino- und TV-Filmen ködern

VON ANDREAS HARTMANN

Über dem Schreibtisch von Kirsten Niehuus hängt ein Filmplakat: „Don 2“, ein Actionfilm mit Shah Rukh Khan in der Hauptrolle, dem Superstar des indischen Kinos schlechthin. „Don 2“ ist kein wahnsinnig guter Film, aber zumindest in Indien war er ziemlich erfolgreich. Bollywood-Filme, die in der Schweiz gedreht werden, mit Wet-Sari-Szenen vor Bergpanoramen, so was ist längst ein alter Hut. „Don 2“ dagegen ist der erste indische Film überhaupt, der zu großen Teilen in Deutschland spielt, besser gesagt: in Berlin. Brandenburger Tor, Eastside Gallery, Alex, alle Hotspots werden hier in Szene gesetzt, und für so manchen Inder ist Berlin jetzt vielleicht vor allem die Stadt, in der „Don 2“ spielt.

„Für Kirsten“, hat Shah Rukh Khan mit schwarzem Filzstift mitten auf das Plakat geschrieben. Kirsten Niehuus hätte auch das Filmplakat irgendeines Arthouse-Films an einer derart markanten Stelle ihres Büros aufhängen können, schließlich hat sie als Geschäftsführerin des Medienboards Berlin-Brandenburg auch davon genügend gefördert. Aber ein Poster von „Don 2“ mit persönlicher Widmung und hinter Glas sagt wohl genau das Richtige über ihre Arbeit, die weniger mit Kunst als mit Finanzen und Lobbyismus zu tun hat: „Filmförderung und Standortmarketing für die Hauptstadtregion“, so lautet schließlich die offizielle Auftragsbeschreibung des Medienboards. Bis nach Indien hat man nun das Signal gesendet: Berlin kann Film, Berlin kann sogar Bollywood. Vielleicht erinnert sich demnächst mal wieder ein indischer Produzent daran – das wäre nachhaltiges Standortmarketing. Tanzszenen im Spreepark und dazu Hindi-Songs, das fehlt ja wirklich noch.

Kokowääh? Muss das sein?

„Es kommt bei der Filmförderung nicht darauf an, meinen persönlichen Geschmack umzusetzen. Filmförderung ist eine kulturelle, aber auch eine wirtschaftliche Förderung.“ So erklärt Niehuus ihr Jobprofil, wenn man sie mit den Stimmen konfrontiert, die meinen, derart kommerziell ausgerichtete Filme wie „Don 2“ müssten ja nicht auch noch staatlich gefördert werden. Oder – auch so eine Frage, die von Kritikern der Filmförderung immer wieder mit vehementem Kopfschütteln hervorgebracht wird – warum bitte bekommt Til Schweiger für seine schrecklichen Filme eine Förderung, obwohl „Kokowääh 2“ Millionen an der Kasse erwirtschaftet? Und „Die Wanderhure“: Warum musste sogar diese kulturell wenig wertvolle Fernsehproduktion mit Steuergeldern aus Berlin und Brandenburg unterstützt werden?

Kirsten Niehuus sagt dann, diese Til-Schweiger-Debatte sei ihr die liebste Kritik. Und meint das natürlich ironisch. Sie wirkt jetzt wie jemand, der die ewige Diskussion rund um die vermeintlich komplizierte und uneffektive Filmförderung einmal zu oft geführt hat. Alles nur Schrott, was dabei herauskommt? Niehuus verweist auf die unzähligen Filme, die das Medienboard jedes Jahr fördert: Allein 2013 waren es 113 und über zwei Dutzend werden jetzt auf der Berlinale zu sehen sein, darunter der Eröffnungsfilm von Wes Anderson, „Grand Budapest Hotel“. Preisgekrönte, künstlerisch wertvolle Filme seien in zehn Jahren Medienboard dabei gewesen, auch Oscar-Gewinner wie „Das Weiße Band“ von Michael Haneke. „Da ist für jeden Geschmack etwas dabei“, sagt die Medienboard-Chefin. Implizit macht sie gleichzeitig klar, dass wohl auch ein Mario Barth eine Förderung bekäme, würde er gewisse obligatorische Voraussetzungen erfüllen.

Saudi-Arabien? Geht auch!

Und welche Voraussetzungen sind das? „Bei der Produktion eines Films muss mindestens die Summe, mit der wir ihn fördern, in der Region ausgegeben werden“, erklärt Niehuus. Die Faustformel ist dehnbar, aber ihr Sinn, die hiesige Filmwirtschaft zu unterstützen, muss auf jeden Fall erkennbar bleiben. „Wird ein Film etwa in Saudi-Arabien gedreht, sollten wenigstens Kameramänner oder Beleuchter aus der Region dabei sein.“ Oder man dreht woanders, kommt aber für die Postproduktion zurück nach Babelsberg und verpulvert auf diese Weise noch genügend Geld zwischen Berlin und Potsdam.

Der Regionaleffekt oder „Berlin-Brandenburg-Effekt“ dieser Investitionen besteht also darin, dass sie möglichst hohe Folgeinvestitionen nach sich ziehen, etwa in den Bereichen Tourismus oder sonstige Dienstleistungen. Hier wartet das Medienboard mit beeindruckenden Zahlen auf: Jeder Euro, der in die geförderten Filme fließt, werde im Schnitt vierfach in der Region wieder ausgegeben, heißt es.

Und überhaupt: Bei der Filmförderung in Deutschland geht es nicht primär um Qualität, sondern darum, dass hierzulande filmmäßig überhaupt etwas läuft. Das kann man kritisieren, es ist aber angesichts gravierender Standortnachteile gegenüber der alles dominierenden US-Filmwirtschaft einigermaßen nachvollziehbar. Das Medienboard mit seinen vergleichsweise bescheidenen Mitteln von jährlich knapp 30 Millionen Euro ist dabei nicht der große Ermöglicher oder Verhinderer von Filmprojekten, sondern eher ein Lenker. Komm mit deinem Film zu uns, flüstert es den Produzenten ins Ohr, „wir haben super Standortbedingungen, bestens ausgebildete Filmschaffende, preisgünstig sind wir auch und obendrein gibt es noch ein kleines Taschengeld“.

Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, so gut wie jedes deutsche Bundesland betreibt mit einem Budget aus Steuer- und Fernsehgeldern eine solche Lobbyarbeit für die eigene Filmwirtschaft. Bundesweit im größten Stil und am erfolgreichsten aber agiert das Medienboard, in das jährlich 11 Millionen Euro aus Berlin, 8 Millionen aus Brandenburg und ein Rest aus regionalen Fernsehanstalten fließen. Das Medienboard hat schließlich das hippe Berlin, eine Stadt mit einer aufregenden Geschichte, als Kulisse zu bieten. Und vor der Haustür das Studio Babelsberg in Potsdam. Aus ihrem Fenster blickt Kirsten Niehuus direkt auf die Marlene-Dietrich-Halle der früheren Defa-Studios, „in der ist ‚Metropolis‘ von Fritz Lang entstanden“, sagt sie. Einmal dort zu arbeiten, wo derartige Klassiker der Filmgeschichte entstanden sind, hat dem Cineasten Quentin Tarantino bestimmt die Entscheidung erleichtert, seine „Inglourious Basterds“ in Berlin zu drehen.

Pitt, Cruise, Clooney, alle da

Quentin Tarantino. In Berlin. Vor ein paar Jahren hätte man so etwas für einen Witz gehalten. Inzwischen hat man sich an all das Hollywood gewöhnt. Brad Pitt, Tom Cruise, schon alte Bekannte in Berliner Szenebars. Und natürlich George Clooney, der für seinen neuen Film „Monuments Men“, der auf der Berlinale Premiere hat und ab Mitte Februar regulär in die Kinos kommt, wochenlang zum Drehen in Berlin war.

Berlin ist also wieder Filmstadt, auch in der Zeit des Jahres, in der die Berlinale gerade mal nicht stattfindet, und Potsdam-Babelsberg ist eine Produktionsstätte, in der nicht nur mittelmäßiges deutsches Fernsehen, sondern auch großes Kino entsteht. Aber die Konkurrenz schläft nicht. In Europa sind es neben London vor allem Prag und Budapest, die sich um internationale Großproduktionen bemühen. Eine neue HBO-Serie, die ausgerechnet im Berlin der zwanziger Jahre spielt, wurde gerade in Prager Studios fertig gestellt, weiß Kirsten Niehuus. So etwas tut natürlich weh.

Und Woody Allen, dreht der nach London, Paris und Rom nicht endlich auch mal in Berlin? Nein, der habe leider noch nicht angebissen, sagt Niehuus, „aber dafür hatten wir schon Shah Rukh Khan!“ Und so viel schlechter als die meisten Europa-Filme von Woody Allen ist „Don 2“ schließlich auch nicht.