Das Alte ist manchmal das Frischere

FESTIVAL ULTRASCHALL

Die Musiker durften gelegentlich intervenieren, mussten die meiste Zeit aber im Dunkeln warten

Die Neue Musik hat nach wie vor ein Legitimationsproblem. Nicht, dass sie wegen mangelnder Förderung aus dem öffentlichen Leben verschwinden würde. Doch sie erreicht weiterhin bloß ein begrenztes Publikum. Das ist, wie jüngst beim Festival Ultraschall Berlin zu sehen, immer noch zahlreich genug, um Häuser wie das HAU (1 und 2) oder das Radialsystem V zu füllen. Im eigentlichen Sinne große Häuser sind das allerdings nicht.

Neben der Frage, wie viele Menschen sich Neue Musik – genauer gesagt, das Schaffen lebender oder vor nicht allzu langer Zeit verstorbener Komponisten – freiwillig anzuhören bereit sind, bleibt als wichtigeres Kriterium die Qualität der dargebotenen Musik. Ultraschall Berlin pflegt dabei eine Doppelstrategie: Neben Bewährtem von etablierten Komponisten wie Elliott Carter, Steve Reich oder Bernd Alois Zimmermann steht noch nie Gehörtes: Allein im Konzert mit dem sprachlich etwas durchgeschüttelten Titel „New Forum Jeune Création“ wurden ganze sechs Uraufführungen von drei Ensembles geboten.

Auch wenn die beteiligten Ensembles auf hohem Niveau spielten – Beeindruckendes, Begeisterndes oder gar Sensationelles war von ihnen wenig zu hören. Gemeinsam war den Stücken ihr elektroakustischer Charakter – Orchesterinstrumente wurden mit elektronischen Klängen kombiniert, konfrontiert oder in Echtzeit manipuliert.

Das klang bei dem französischen Komponisten Aurélien Dumont wie ein Kammermusikwerk, zu dem es nebenher knistert oder rauscht, ohne dass beide Komponenten in vernehmlichen Dialog miteinander treten würden. Und auch der hoch gehandelte Komponist Johannes Kreidler konnte mit seiner „Slide show Music“ wenig mehr als digitales Achselzucken zur Lage der Neuen Musik beisteuern: Zu lustigen Projektionen mit konkreter Poesie auf Notenschriftbasis ließ er Billigcomputermusik laufen. Die Musiker durften gelegentlich intervenieren, mussten die meiste Zeit aber im Dunkeln warten.

Man fühlt sich an den durchaus bedeutenden US-amerikanischen Komponisten Frederic Rzewski erinnert, der im vergangenen Sommer beim Festival „Relevante Musik“ in der Villa Elisabeth bemerkte: „Der Großteil der heutigen modernen Musik ist Scheiße, das wissen wir doch alle.“ Wahrscheinlich sagte er das nicht nur als Provokation, sondern auch als ernst gemeinte Kritik. Und der müssen sich die jungen Komponisten nach wie vor stellen, wenn sie ihr Publikum halbwegs interessiert.

TIM CASPAR BOEHME