: Hass auf Damenblusen
PROFESSOR In Hans Ulrich Gumbrechts „California Graffiti“ steht nichts über Kalifornien und alles über den Autor
VON DETLEV CLAUSSEN
Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, der sich auf seinem Campus in Stanford gern „Sepp“ nennen lässt, hat sich einen Traum erfüllt: Er ist Amerikaner, besser noch Kalifornier geworden. Als der Hanser Verlag „California Graffiti“ ankündigte, konnte man hoffen, an der Erfüllung dieses Traums partizipieren zu dürfen. Doch man erfährt wenig über die Attraktion, Kalifornier zu werden, sondern wird Zeuge von Lebensstil und Selbstverständnis des Hans Ulrich Gumbrecht, der nicht nur Jeep Wrangler fährt, sondern seine Sportverrücktheit voll und ganz ausleben kann. Bei Suhrkamp hatte er 2005 trendsettend ein „Lob des Sports“ geschrieben, das damals schon einen Hautgout hinterließ: Starphilologe adelt Sport, indem er ihm einen wichtigtuerisch-akademischen Jargon überstülpt.
Auch in „California Graffiti“ lässt Gumbrecht ziemlich den Professor heraushängen. Das akademische Amerika kennt ihn, auch der deutschsprachige Feuilletonleser muss auf Gumbrechts Interventionen nicht verzichten. Sein ehemaliger Doktorand Frank Schirrmacher hat für ihn in der FAZ immer Platz.
„California Graffiti“ ist eine große Enttäuschung. Noch weniger, als man in seinem kulturalisierenden „Lob des Sports“ über den Sport selbst erfährt, lernt man etwas über Amerika oder California, sondern man wird peinlich berührter Zeuge eines intellektuellen und politischen Exhibitionismus. Wäre man ständiger Leser des Merkur, hätte man fast alles schon gelesen haben können. „Alle Texte wurden für die vorliegende Neuausgabe überarbeitet“ – aber leider nicht genug. Offensichtliche Fehlurteile blieben stehen: Verliebt in die Idee, das Berkeley der 90er Jahre den deutschen Lesern als revolutionäres Rothenburg ob der Tauber zu präsentieren, wird Berkeley mit einem kenntnis- und erfahrungslosen touristischen Blick dargeboten, was in der absurden Behauptung gipfelt, das benachbarte Oakland im Gegensatz zum renommierten Berkeley habe man aufgegeben: „Das erklärt vielleicht, warum in den sechziger Jahren gerade im Hafen von Oakland große Teile des amerikanischen Vietnam-Heeres eingeschifft wurden.“
Vielleicht? So ein Quatsch. Seit Pearl Harbor sind Oakland und San Diego die wichtigsten Häfen für den Pazifik. Die soziologische Stadtentwicklung hat damit nichts zu tun und weist schon seit der Entindustrialisierung der 70er Jahre in eine aufwärtsstrebende Richtung, die mit dem von Gumbrecht 1993 im Merkur gezeichneten Bild einer verfallenden Slumtown wenig gemein hat. Die Wirklichkeit wird Einfällen geopfert, an denen geschwätzig festgehalten wird. Etwas Recherche könnte aus gewagten Behauptungen das machen, was sie sind: haltlose, vom Ressentiment lebende Provokationen einer schlecht informierten deutschen Öffentlichkeit.
Der Neukalifornier Gumbrecht gefällt sich darin, als Damenblusenhasser aufzutreten. Mit professoral taxierendem Altherrenblick rezensiert er jedes weibliche Gegenüber, um sich als mutiger Verächter von sexismusfreien Sprachcodes in Szene zu setzen. Da ist der Sepp ganz der alteuropäische Intellektuelle geblieben, der sich der Political Correctness als einem Auswuchs puritanischen Gesinnungsterrors überlegen fühlt.
Wie eine Kellnerin
Klar, Multikulturalismus zwingt ihm nur ein müdes Lächeln ab, wenn er mit Gourmetgrausen über die universitären Potluck Parties lästert. Doch er selbst braucht bis zum Ende des Buches, bis er endlich kapiert, dass sein Wunsch, Amerikaner zu werden, nicht mit seinem aus Kontinentaleuropa mitgebrachten Assimilationsideal versöhnt werden kann.
Der Chimäre einer akzentfreien Sprache, die dem Hannover-Mythos in Deutschland entspricht, jagen in den USA nicht einmal mehr die nationalen Medien nach. In Kalifornien gibt es keine eindeutige Mehrheit mehr, die kulturelle Normen setzt – Kenner wie Rezeptionisten in Restaurants und Grenzbeamte erkennen jede Herkunft an der Sprache. Ein Akzent macht einen nicht a priori zum unerwünschten Ausländer oder zum exotischen language clown, wie die armen emigrierten Schauspieler genannt wurden, die immer die Nazis in Hollywood darstellen mussten.
Am Anfang des Buches kokettiert Hans Ulrich Gumbrecht noch mit der emigrantischen Tradition, von der er doch weiß, dass seine Existenz in Stanford eine andere ist. So versucht er sich am Ende mit der Kellnerin zu vergleichen, die 1904 zur Weltausstellung nach St. Louis fuhr und blieb. Dort hätte sie Max Weber treffen können, der aber die USA nur bereiste, um das akademische Deutschland zu repräsentieren und Material für seine Protestantismusthese zu suchen, nicht aber „um Verwandte zu besuchen“ (S. 141) Aber wahrscheinlich hatte Gumbrecht beim Herstellen dieses Textes nur Zugriff auf plato.stanford .edu. In dieser Enzyklopädie des Stanfordwissens wird Max Webers Amerikabesuch gar nicht erwähnt; als sein Schüler wird Marc Bloch genannt, es müsste aber Ernst Bloch heißen. Die zweifellos vorhandene Exzellenz von Stanford hat einen hohen Preis; die undergraduates werden in kurzer Zeit auf ein Wissenslevel „from Plato to Nato“ gebracht, das eher von oben auf die konkrete Welt blicken lässt. Gumbrecht gefällt sich darin, aus dem Fly-over-Jet herabzusteigen, um vom Hochsitz seines SUV die gelobten USA zu inspizieren. Der Spaß sei ihm gegönnt; man muss ja nicht mitfahren.
■ Hans Ulrich Gumbrecht: „California Grafitti. Bilder vom westlichen Ende der Welt“. Hanser, München 2010, 206 S., 15,90 Euro
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