Endlich darüber sprechen

Wie erfahren Frauen, die Frauen lieben, das Altwerden? Drei ganz unterschiedliche Frauen und ihr „anderes Leben“ hat die Filmemacherin Isabell Rodde porträtiert. Eine ihrer Heldinnen war in dieser Woche im Studio-Kino zu Gast

von Martina Helmke

„Christel ist Vollgas, ich bin Bremse“, sagt Lisa. Leises Kichern ist im Saal zu hören. Christel und Lisa sind zwei der Protagonistinnen des Films „Anders leben“ von Regisseurin Isabel Rodde. Bei den Schwul-lesbischen Filmtagen 2005 erhielt die Dokumentation bereits einen Preis, in dieser Woche wurde er vor einer kleinen Gruppe im Studio-Kino gezeigt.

Die meisten Zuschauerinnen sind zu zweit gekommen. Männer sind so gut wie keine im Saal. Auf der Leinwand geht es um lesbische Frauen im Alter. Es sind private Geschichten, die da erzählt werden: von der ersten Liebe, von Heimlichkeiten und Einsamkeit, von Nachbarn und vom Holzhacken in Omas Garten. Kämpferisch geben sich alle drei der Porträtierten: Christel (71), Hanne (66) und Wienke (73) erzählen vom Leben als „Frauen, die Frauen lieben“ in einer Zeit, in der die Gesellschaft keine andere Lebensform außer der Ehe respektierte. Manchmal traurig, manchmal selbst überrascht blättern sie da in alten Fotoalben – auf der Suche nach Erinnerungen. Die sind sehr unterschiedlich: Während die eine ihre Sexualität erst mit 30 Jahren entdeckte, hatte die andere bereits im jugendlichen Alter eine Freundin. Heimlich versteht sich. „Es war bitter für mich“, sagt Wienke. „Ich konnte ja mit niemandem darüber sprechen.“ Mit Mitte 20 heiratete sie einen engagierten Linken. „Er vertrat damals politisch etwas für mich Beeindruckendes“, erzählt die ältere Schwester von Ulrike Meinhoff mit trotziger Stimme.

Bei Christel war das anders. Schon früh kam ihr die Idee, in Berlin eine Frauenkneipe zu eröffnen. Keine Bar mit Glamour und rotem Licht, einfach nur ein gemütlicher Ort, an dem Frauen sich treffen können, miteinander reden, trinken. Heute führt sie eine Frauenpension im Grünen. Finanziell stehen beide nicht gut da, aber die barsche Christel ist kein Mensch, der aufgibt. Die großen Abenteuer ihrer bewegten Leben haben alle drei hinter sich. „Das zweite Leben hat begonnen“, seufzt Hanne lächelnd. Nun müssen sie sich arrangieren mit dem Alter, wie es wohl jeder einmal tun muss.

Jedoch fehlen Lesben sehr häufig Kinder und Enkel, die sie vor dem Alleinsein bewahren könnten. „Vereine, in denen sie Kontakte knüpfen könnten, kommen auch nicht in Frage“, sagt Bea Trampenau vom Hamburger Lesbenverein Intervention. „Vielen älteren Lesben fällt es schwer, sich heterosexuellen Frauen anzuvertrauen.“ Obwohl viele der heute alten Lesben sich durch die Frauenbewegung ein großes Selbstbewusstsein angeeignet hätten, wüssten die meisten von ihnen auch noch um die Zeiten der Diskriminierung. So hat etwa Wienke nie den Mut aufgebracht, sich während ihrer Zeit als Schuldirektorin zu outen. „Damals“, berichtet sie, „war es ja sogar lesbischen Krankenschwestern verboten, weibliche Patienten zu behandeln. Was hätten die da erst mit mir gemacht?“

Die Abneigung und das allgemeine Misstrauen Frauen gegenüber, die sich dem traditionellen Bild der Ehe entzogen, führten dazu, dass die meisten Lesben sich mit alleinstehenden, berufstätigen, heterosexuellen Frauen stärker verbunden fühlen als mit Schwulen. Ein Aspekt, den Wienke besonders betont, als sie nach der Filmvorführung noch mit den Anwesenden redet. Bunt gekleidet sitzt sie da und hält mit heiserer Stimme eine kleine Rede, liest von einem Stapel sauber getipptem, weißen Papier, den sie mit den Händen umklammert. Beschwert sich über das Vorurteil der alten, einsamen Lesbe. „Für uns“, sagt sie, „spielt der Freundeskreis eine sehr viel größere Rolle.“ Und an Beziehungen auf Lebenszeit glaube sie ohnehin nicht. Was alte Frauen bräuchten, sei einfach nur Nähe.

Dazu passt auch das Wohnprojekt „Safia“, in dem Wienke heute in Hannover lebt: „ein kleines Stück sozialistischer Traum und ich finde es hinreißend“. So gibt es in ihrem „Lesbenhaus“ kein Privateigentum. Es ist eine Stiftung, Unterstützung von der Stadt gibt es keine. Nicht schlimm, findet Bea Trampenau. So könne man autonom bleiben – und die Stadt spare Geld. Wienke indes vermisst ein paar ehrliche Feministinnen im Haus, das gibt sie zu. Eine Zuschauerin bringt später zum Ausdruck, wie sehr ihr ein Haus wie „Safia“ Hoffnung gibt: „Wir sterben“, sagt sie, „noch nicht aus.“

„Anders leben – Lesben im Alter“ von Isabel Rodde. 2005, 60 Min. www.andersleben-film.de