Im Sarg auf die Bühne

Werner Liebig betreibt die Disko „Beat Club“ im niedersächsischen Langelsheim und organisierte 1970 und 1971 die beiden ersten Open Air-Festivals im Harz. Ein Blick zurück auf wilde Zeiten

INTERVIEW: MATHIAS BECKER

taz: Herr Liebig, 1970 lief der „Beat Club“ zwar schon einige Jahre, mit Festivals hatten Sie aber noch keine Erfahrung. Wie liefen die Vorbereitungen?

Werner Liebig: Ziemlich schwierig. Zumal ich vieles einfach selbst machen wollte. So bin ich mit meinem Bruder erstmal durch ganz Deutschland gefahren, um Plakate für das Festival aufzuhängen.

Konnten Sie die nicht schicken?

Nein, das lief nicht. Die wären im Müll gelandet oder abgerissen worden. Es war ja wichtig, dass die Plakate an den richtigen Orten hängen. Am „Grünspan“ in Hamburg zum Beispiel. Die Kontakte hatte nur ich.

Wie war die Reaktion in Langelsheim?

Durchwachsen. Kurz zuvor war auf Fehmarn ein Veranstalter angeschossen worden, weil er keine Gagen auszahlen wollte. Außerdem befürchteten die Langelsheimer Bürger die Invasion der Rocker. Entsprechend skeptisch wurde unser Projekt beäugt.

Trotzdem durften Sie veranstalten.

Ich hatte einen guten Ruf durch den „Beat Club“. Schließlich habe ich die Erlaubnis bekommen. Es kamen 10.000 Leute, die Stimmung war einfach super. Und die Bürger, die sich vorher beschwert hatten, kamen während des Festivals oft vorbei, um die Mädels nackt im See baden zu sehen. Dabei haben sie übrigens auch umliegende Kornfelder platt getreten – dafür musste ich später vor Gericht. Zum Glück war ich versichert.

Ging es denn sehr wild zu?

Nein, eher gesittet. Wir hatten auch gar keine Ordner oder sowas. Und nur einen Wasserhahn, mehr wurden nicht genehmigt. Da standen die Leute dann Schlange. Das war vielleicht nicht so schön, aber irgendwie haben sie‘s ertragen. Viele haben auch zusammen in großen Zelten geschlafen. Und viele, die sich damals beim Bratwurststand kennengelernt haben, sind heute noch befreundet.

Und das zweite Festival, 1971?

Da wurde es schon schwieriger. Wir hatten „Colosseum“ als Top-Act bekommen, damit hatte niemand gerechnet. Wir hatten 30.000 Besucher, deshalb haben wir auch Security aus Hamburg bestellt. Wie sich herausstellte waren das Hell‘s Angels. Anstatt ihren Job zu machen fuhren die in der Gegend rum und kassierten ein zweites Mal Eintritt. Außerdem bekamen wir ein Problem mit Drogen. Es kursierten so blaue Trips, von denen sich einige fast nicht erholt hätten.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Zu den Hell‘s Angels bin ich hingegangen und habe mich mal mit denen unterhalten. Das habe ich immer gemacht, wenn es Ärger gab und meistens war dann Ruhe. Ich war damals körperlich ziemlich präsent. Gemeinsam mit der Polizei haben wir über Lautsprecher durchgesagt, dass die Leute von den blauen Trips nur die Hälfte essen sollen. Ganz abhalten konnten wir sie nicht. Der Typ, der die Dinger damals verkauft hat, ist heute übrigens ein wohlhabender Geschäftsmann.

Das klingt alles etwas anders, als es heute abläuft.

Total. Das erste Festival hat damals 10 Mark für drei Tage gekostet, das zweite 20 Mark. Wir haben auch niemanden durchsucht oder so. Die Sanitäter und Ärzte haben uns nichts gekostet. Und den Müll haben später Jugendliche aus Sportvereinen weggeräumt. Das ist heute alles nicht mehr denkbar: Heute kostet der Container vom Roten Kreuz Geld, die Security, die riesigen Aufbauten. Dabei ist die Hälfte der Boxen gar nicht angeschlossen, glaube ich, die sind nur für‘s Auge. So kommt man dann schnell auf 120 Euro pro Ticket.

Man war auch viel näher an den Bands: Bei uns haben die Musiker auch Leute auf die Bühne geholt. Das konnte aber auch nach hinten losgehen. Die „Edgar Broughton Band“, englische Polit-Rocker, hatten ihren Gitarristen in einem Sarg auf die Bühne getragen. Als der rauskommen wollte, saßen da welche auf dem Deckel.

Hatten Sie Sponsoren?

Überhaupt keine. Aber damals mussten wir den Musikern auch keinen 500er Mercedes hinstellen oder Handtücher, auf die ihr Name gestickt war. Das ganze Festival 1971 hat mich 187.000 Mark gekostet.

Was gab es denn Backstage?

Wasser, Bier und belegte Brote. Wenn es ein drittes Festival gegeben hätte, hätte ich wohl Jägermeister und die Braunschweiger Zeitung als Sponsoren gehabt.

Warum kam es nicht dazu?

Ich durfte nicht mehr. Nach dem zweiten Festival haben Stadt und Ordnungsamt dicke Mappen mit Vorfällen aus anderen Städten zusammengestellt. In Ludwigshafen war jemand erschossen worden. Und irgendwo waren Müllberge liegen geblieben. Wir hatten damit nichts zu tun. Trotzdem hat man das gegen uns eingesetzt.

Würden Sie heute denn noch Festivals organisieren wollen?

Das hab ich ja versucht. Ich wollte 2006 die „Scorpions“ zum 35-jährigen Jubiläum des 71er-Festivals ins Harz-Stadion in Langelsheim holen. 10.000 Leute passen da rein. Ich hätte die Tickets für 10 oder 15 Euro verkauft. Leider hat das nicht geklappt.

Warum denn nicht?

Das Management hat mir gesagt, die wären in Athen. Ich glaube, die wollten mich abwimmeln. Dabei haben die Scorpions damals ständig im „Beat Club“ gespielt. 40.000 Euro hatte ich geboten. Das war diesen aalglatten Managern wohl zu wenig. Klar, sonst nehmen die das Zehnfache.

Das heißt, Sie geben auf?

Den „Beat Club“ übergebe ich langsam meinem Sohn. Ich ziehe mich langsam zurück. Was wir damals gemacht haben, geht nicht mehr. Das ist vorbei.