Kleine Welten im großen Raum

FILM Das Kino Babylon widmet sich dem spanischen Gegenwartskino. Das Publikum dankt es ihm leider nicht

Filme der größten spanischen Regisseure, Samstagabend, ein großer Saal und das alles für lau. Und keiner geht hin. Das passiert in einer Stadt, in der man in so manchem Szenelokal das Gefühl haben könnte, in Madrid oder Barcelona zu sein und bei einer Filmauswahl, die verspricht, das Urbane in Spaniens Gegenwartskino zu zeigen. Vielleicht sind all die urbanen Menschen hier schon viel zu gelangweilt von all den Kuratoren und Filmemachern, die ihnen zeigen wollen, wie sie selber leben und meinen, man bräuchte nur „urban“ in den Titel einer Veranstaltung zu schreiben und schon kommen sie von allen Seiten angeströmt.

Leider gibt der Titel des Filmwochenendes im Babylon (Mitte) nur ansatzweise wieder, was für großes Kino es da zu sehen gab. Tatsächlich spielen alle Filme in der Stadt und zeigen das, was man gemeinhin als das große Problem modernen großstädterischen Lebens versteht: Einsamkeit. Doch darüberhinaus zeigte die Filme scharf gezeichnete Charaktere, Einblicke in die kleinen Welten im großen urbanen Raum und erzählen einfach gute Geschichten.

Exzentrische Charaktere

Sowohl in Pedro Almodovars „La ley del deseo“ (das Gesetz der Begierde, 1987) als auch in Fernando León de Aranoas „Princesas“ (2005) sind die Protagonisten stetig auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Es ist das klassische Drama der Großstadt, wie es schon Georg Simmel erkannt hat: nirgends ist man so allein wie unter vielen Menschen auf engem Raum.

In „Gesetz der Begierde“ nimmt diese Suche nach Liebe und Geborgenheit Züge der Besessenheit an und führt zu Mord und Selbstmord. Der schwule Filmemacher Pablo wird gleich zweimal geliebt - von Juan, der die Stadt verlässt und von Antonio (Antonio Banderas), der es nicht erträgt, nur die Nummer zwei für Pablo zu sein und Juan aufsucht und von einer Klippe stürzt. Die Charaktere sind exzentrisch genug, um die gängigen Erwartungen an einen Almodovar zu erfüllen, aber keiner von ihnen entbehrt des Identifikationspotentials für den Zuschauer. Die Handlung verläuft stringent in Richtung dramatischem Höhepunkt. Das gilt auch für „Princesas“, der die Geschichte von Prostituierten in Madrid erzählt. Caye kommt aus Madrid und spart darauf, sich ihre Brüste vergrößern zu lassen. Sie trifft Zulema, eine illegale Einwanderin aus der Dominikanischen Republik, die Geld für ihren kleinen Sohn zuhause braucht. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die auf gegenseitiger Hilfe und zweckhaftem Zynismus basiert. Bis Zulema die Gewalt, die ihr angetan wird und die Hoffnungslosigkeit nicht mehr erträgt und zurück nach Hause reist.

Spaniens Besonderheit

Man sucht nach der spanischen Besonderheit des Urbanen in diesen Filmen und findet es in der Religion, die zwar für keinen der Protagonisten eine entscheidende Rolle spielt, aber in deren Umfeld und Geschichte doch immer wieder Präsenz zeigt. Das Ausbrechen aus totalitären Strukturen und strengen sozialen Normen musste sich in Spanien viel schneller vollziehen, als in anderen westlichen Ländern - die Franco-Diktatur endete 1975.

Auch ein dritter Film, „After“, von Alberto Rodriguez (2009), widmet sich der Suche nach Glück und der Konstruktion von Sinn: drei Jugendfreunde, die alles erreicht haben, was in einer auf Erfolg und Konsum orientierten Gesellschaft zu erreichen gilt, treffen sich wieder und stellen fest, dass sie trotz allem nicht zufrieden sind.

Alle Hauptcharaktere schaffen sich eine Welt, die losgelöst ist von Familie und Religion, alle verbergen sie etwas. Bei allen entsteht der Eindruck, dass etwas von außerhalb ihres Selbst sie davon abhält, das Glück zu finden: der Dritte, der die Zweierbeziehung zerstört, das Elend, das Prostitution notwendig macht, und das Streben nach sozialer Anerkennung, das keinen Raum für eigene Bedürfnisse zulässt. Für die Berliner urbanen Protagonisten war vermutlich für so viel Tragik das Wetter zu schön. FRAUKE BÖGER