Verhallen der Flöten und der Proteste

IM FLUSS Am Samstag erkundete das Wassermusik-Festival im Haus der Kulturen der Welt den Amazonas mit zwei kolumbianischen Bands: Der Naturmystik von Mucho Indio und dem Sampling-Projekt Retrovisor

Das Fließen der Spree wirkte da fast wie eine Rauminstallation, um der Musik noch mehr Tiefe zu geben

VON TIM CASPAR BOEHME

Wasser ist seit letzter Woche Menschenrecht. Das ändert nichts daran, dass knapp 900 Millionen Menschen weiterhin ohne sauberes Trinkwasser leben müssen. Diese politische Dimension schwingt im Titel des Festivals Wassermusik am Haus der Kulturen der Welt indirekt mit und wird durch Stände von Organisationen wie Greenpeace unterstrichen. Das erzeugt eine Erwartung, der auch die Konzerte, die am Samstag der Amazonasregion galten, gerecht werden sollen.

Über der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt mit seinem imposanten Dachkuppel-Panorama und der Spree im Rücken schien an diesem Abend wieder die Sonne, so dass das weltmusikkonzerttypische, etwas betagtere Publikum den Auftritt von Mucho Indio aus Kolumbien sehr entspannt in Liegestühlen erwarten konnte. Einige hatten es sich richtig bequem gemacht und ließen ihr Schuhwerk etwas ausdampfen, andere kühlten die Füße im eigens errichteten Planschbecken. Im Hintergrund hörte man Touristendampfer die Spree entlangrauschen.

Für das Konzert von Mucho Indio war der Ort ein Glücksfall. Das Künstlerkollektiv aus Bogotá nimmt in seiner Musik verschiedene Indio-Traditionen auf - laut ihrem künstlerischen Leiter Teto Ocampo gibt es in Kolumbien 85 verschiedene Kulturen - und verarbeitet sie zu einer sehr eigenen Form von Amazonas-Minimalismus mit Pan- und Nasenflöten. Die Musik fließt mit der größten Ruhe vor sich hin und greift wie im Vorübergehen eine Reihe von field recordings auf, die sich mit den vogelstimmenartigen Flötentönen und der Perkussion zu einem ausgedehnten Klangteppich weiten, in dem die Grenze von Naturgeräusch und Komposition regelmäßig verschwimmt. Das Fließen der Spree wirkte da fast wie eine Rauminstallation, um der Musik noch mehr Tiefe zu geben.

Allein das Fundament aus Gitarre und Bass rief einem immer wieder in Erinnerung, dass hier musiziert wird, wenn auch mit schamanistischem Hintergrund. Mitunter löste sich die Illusion eines magischen Klanggeschehens jedoch sehr unvermittelt auf. Schon der zweite Song, ein Protest- und Marschlied aus der Cauca-Region, ließ eher unerfreuliche Bilder aufziehen: Plötzlich war da dieser Pat Metheny-Klang, dieses weltmusikalisch Angejazzte, bei aller Komplexität leicht Scheinende, von dem es eigentlich schon genügend andere Exponenten gibt. Dankenswerterweise löste sich dieser Eindruck schnell wieder auf, mit dem leisen Verhallen der Flöten schien aber auch der Protest allmählich abzusterben.

Eine Botschaft hatten Mucho Indio ebenfalls. So kündigten sie nach einem Song an, er sei in „Einklang mit den Elementen“ zu spielen. An anderer Stelle beschworen sie eindringlich die Einheit der Menschen, wobei ihre Mischung aus Naturesoterik und internationaler Solidarität über gut gemeinte Gesten kaum hinausging.

Einige der Musiker waren zudem in traditionelle Gewänder gekleidet und schienen so die üblichen Weltmusik-Klischees bedienen zu wollen. Am überzeugendsten war die siebenköpfige Truppe freilich immer dann, wenn sie, unabhängig von manifestem Sendungsbewusstsein, ihre handgespielten Loops ineinander schachtelte, um sie wie selbstverständlich vor sich hinrollen zu lassen.

Der anschließende Umzug ins Hausinnere bedeutete nicht nur einen atmosphärischen Schnitt, denn das Konzert von Retrovisor war in so ziemlich allem das genaue Gegenteil von Mucho Indio. Das Trio an Laptop, Bass und Schlagzeug macht Musik aus Latin-Samples, die mit eher herkömmlichen Beats unterlegt werden. Leider trug die unscharfe Akustik der Halle dazu bei, dass so manches Detail ihrer Collagenarbeit unterging. Hin und wieder meinte man bloß, eine Disco-Funk-Band vor sich hin jammen zu hören, die im Grunde von überall her hätte kommen können.

In ihren besseren Momenten zeigten auch Retrovisor, dass sie einen durchaus originellen Zugang zu ihrer kolumbianischen Tradition haben. In Stücken wie „La Mecanica“ kombinieren sie klassische Cumbia-Fragmente geschickt mit neueren Beats, ohne sich in stampfender Beliebigkeit zu verlieren. Das blieb jedoch die Ausnahme.

Optisch wurde der Auftritt mit Videoarbeiten von unterschiedlicher Qualität ergänzt, neben reichlich Computerkitsch gab es lustige Sequenzen in Videospielästhetik und zwei alberne Kinderfiguren mit Taucherbrillen. Gelegentliche Exkurse ins Umweltpolitische durften nicht fehlen, ein kompletter Song wurde mit Bildern von der Zerstörung des Regenwalds unterlegt. Die Aufnahmen stammten von Greenpeace.

■ Wassermusik 2010, Haus der Kulturen der Welt, bis 13. August