piwik no script img

Ganz die alte Schule

SOMMERTHEATER Mit Stars, Sex und Botschaft: Rolf Hochhuths erstes Musical im Berliner Theater am Schiffbauerdamm

Die verlassenen Ehemänner beklagen weniger den Sex-Entzug, als dass sie jetzt selbst kochen müssen

VON CORINNA STEGEMANN

Eine nackte Dame sitzt mit wehendem Haar rittlings auf einem mit Kanonen bestückten Militärschiff im Meer. Über ihrem Gesicht sieht man ein Fadenkreuz. Das Plakat mit der Zeichnung des bekannten elsässischen Künstlers Tomi Ungerer fasst schön zusammen, worum es in Rolf Hochhuths Musical „Inselkomödie“ geht, das am vergangenen Freitag im Berliner Theater am Schiffbauerdamm unter der Regie von Heiko Stang seine Uraufführung hatte: Die Frauen einer kleinen griechischen Insel, die nicht einmal im Atlas verzeichnet ist, wollen verhindern, dass ihre Männer – allesamt Bauern – ihr Land an die USA verkaufen, um daraus einen Nato-Stützpunkt entstehen zu lassen.

Unter der Führung der verwitweten Frau Dr. Lysistrate Soulidis, Studienrätin und Abgeordnete im Athener Parlament (Caroline Beil), entziehen sie sich ihren Gatten und versammeln sich im Gasthaus von Lysistrates Vater Konstantinos (Kostas Papanastasiou, bekannt als Wirt aus der Lindenstraße). Sie verkünden, erst auf die heimischen Höfe zurückzukehren, wenn die Männer von ihrem Vorhaben ablassen und statt Raketen Touristen auf die Insel holen.

Das Vorbild „Lysistrata“ des griechischen Dichters Aristophanes hatte Rolf Hochhuth bereits 1973 zu seinem Stück „Lysistrata und die Nato“ verarbeitet, und dem jungen Komponisten Florian Fries gelang die Vertonung des ursprünglich rund 300 Seiten langen Werkes mit größtenteils wirklich schönen und rasanten Songs und eingängiger Musik.

Keine Freakshow

Vor allem wartete das Premierenpublikum im beinahe vollständig ausverkauften Theater gespannt – und zum Teil auch mit gemischten Gefühlen, wie man dem allgemeinen Gemunkel entnehmen konnte – auf den Auftritt des 106-jährigen Johannes Heesters, der als Darsteller des Königs zwei Monologe hat. Und dann war es so weit, der greise Mime erschien im Scheinwerferlicht. Aufrecht auf einem großen Thron in Bühnenmitte sitzend, begann er den Eingangsmonolog: „Die Frauen dominieren, sie waren einst berühmt und sind noch durch Geist und Schönheit ausgezeichnet …“ Und es macht wirklich Spaß, ihm zuzuhören. Seine Stimme ist noch kräftig, er spricht pointiert und mit angenehmer Theatralik und großer Bühnenpräsenz – die ganz alte Schule. Sicher merkt man, dass er keine 90 mehr ist, doch wer heimlich befürchtet hatte, der alte Mann werde nur vorgeführt und sein Auftritt könne sich zu einer Freakshow gestalten, der konnte sich jetzt wieder beruhigen. Man merkte Heesters einfach an, dass er ganz in seinem Element war und die Szene einfach genoss.

Auch die Vorstellung im Ganzen war erquicklich. Zwar wirkt das Stück ein wenig aus der Zeit gefallen und die Mischung aus ernsten, militärkritischen Textpassagen, die wie mit einem moralisierend erhobenen Zeigefinger daherkommen, und boulevardeskem Klamauk mutet etwas seltsam an, doch die wenigen Längen werden durch muntere Showeinlagen wieder wettgemacht. Ein Minister a. D. in knallengen bunten Hotpants tanzt und singt mit zwei leicht bekleideten Playboybunnys, ein Offizier einer Untersuchungskommission, die ebenfalls im Gasthaus untergebracht ist, jagt halbnackt und grunzend den streikenden Damen hinterher, die dabei kichern und kreischen wie Schulmädchen auf der Jungentoilette. Die verlassenen Ehemänner beklagen weniger den Sex-Entzug als die Tatsache, dass sie jetzt selbst melken und kochen müssen.

Heesters’ Gedicht

Die Darsteller sind mit Spaß bei der Sache, die Sexszenen halten sich erfreulicherweise in Grenzen, und auch Caroline Beil, die anfangs etwas unsicher auftrat, fand in ihre Rolle. Bei allem Spaß geht die Warnung vor der Gefährlichkeit der Nato, die Autor Rolf Hochhuth mit seiner Inselkomödie auch übermitteln wollte, allerdings etwas unter.

Für ein wenig Irritation sorgte Heesters’ zweiter Monolog – auch bei Hochhuth selbst, der in der Generalprobe zwei Tage zuvor plötzlich flüsterte: „Ich verstehe kein Wort von dem, was er da erzählt. Das ist nicht von mir, das habe ich nicht geschrieben.“ Es stellte sich heraus, dass Heesters ein flämisches Gedicht vortrug, mit dem er als ganz junger Schauspieler seine ersten Vorsprechen absolviert hatte. Die Irritation bei der Premiere schlug aber bald in Heiterkeit um, denn allein Heesters’ Vortragskunst war so unterhaltsam, dass man den Inhalt des flämischen Gedichtes gar nicht ganz verstehen musste. Hut, bzw. Zylinder ab!

Die Komödie endete glücklich. Statt eines Nato-Stützpunktes bekommen die Insulaner ein Touristenzentrum. Das wird gefeiert: Die Treppe des Gasthauses wird zur Revuetreppe, alle 18 Darsteller singen und tanzen, zwei Konfetti-Kanonen kommen zum Einsatz und so findet das Musical einen furiosen Schluss.

Beim mehr als zehnminütigen Schlussapplaus wird Johannes Heesters von Caroline Beil und einer weiteren Darstellerin behutsam auf die Bühne geführt und bekommt lange stehende Ovationen.

Gesellschaft + Kultur Seite 14

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen