Feuerwehr und Polizei mitschuldig

AUSTRALIEN 179 Menschen starben, als am 7. Februar 2009 verheerende Feuer bei Melbourne wüteten

Eine Familie schaffte es nicht ins 20 Meter vor dem Haus geparkte Fahrzeug

CANBERRA taz | Die Brandkatastrophe in Australien, die im vergangenen Jahr 179 Todesopfer forderte, wurde durch „systematische Fehler“ der Behörden verschlimmert. Zu diesem Schluss kommt eine unabhängige Untersuchungskommission. Wie die Kommission in einem mehrere tausend Seiten langen Bericht an die Regierung erklärt, habe die Unsicherheit der Anwohner, ob sie ihre Häuser verlassen oder gegen sie das heranrückende Feuer verteidigen sollen, wesentlich zur hohen Opferzahl beigetragen. 179 Frauen, Männer und Kinder starben, als am Samstag, 7. Februar 2009 mehrere Feuer weite Teile des stark bewaldeten Hinterlandes von Melbourne im Südosten des Landes überrannten. Eine Kombination von Sommertemperaturen von bis zu 47 Grad und starken, erratischen Winden trugen zur Katastrophensituation am „schwarzen Samstag“ bei. Viele der Opfer entschieden sich zu spät, ihre Häuser zu verlassen und vor den bis zu 50 Meter hohen Flammenwänden zu fliehen. In Kinglake schaffte es eine Familie nicht mehr ins 20 Meter vor dem Haus geparkten Fahrzeug. Alle Familienmitglieder verbrannten. In anderen Siedlungen starben dutzende Anwohner. Das Dorf Marysville wurde komplett zerstört.

Die Untersuchungskommission hatte an 154 Tagen über 400 Zeugen befragt. Sie zeichnet in ihrem Bericht ein Bild von kaum zu glaubender Inkompetenz und Fahrlässigkeit auf allen Behördenebenen. Schwerste Kritik ging an die Adresse der damaligen Polizeichefin des Bundesstaates Victoria, Christine Nixon, sowie an Feuerwehrchef Russell Rees. Die Kommandostruktur sei so komplex gewesen, dass Rees nicht wusste, welche Feuer die größte Gefahr für Anwohner waren und wo die Einsatzkräfte hingeschickt werden sollten. Christine Nixon entkam knapp einer Strafanzeige wegen Irreführung der Kommission. Die erste Frau an der Spitze eines australischen Polizeikorps hatte erst bestritten, am „schwarzen Samstag“ beim Friseur gewesen zu sein. Auch stellte sich heraus, dass sie den Abend, an dem sich nur wenige Kilometer entfernt die größte Naturkatastrophe der australischen Geschichte abspielte, mit Freunden in einem Pub verbracht hatte. Ihr Mobiltelefon hatte sie in dieser Zeit offenbar ausgeschaltet.

Die Kommission empfiehlt eine umfassende Überarbeitung der bisherigen Position, die es den Anwohnern überlässt, den Entscheid über eine Evakuierung zu treffen. Außerdem müsse das Warnsystem revidiert werden. Viele Betroffene hatten keine Ahnung, dass sie sich in unmittelbarer Gefahr befanden. Ein Anwohner gab zu Protokoll, am Fernsehen die Brandbekämpfung in einem Nachbardorf verfolgt zu haben, als er merkte, dass seine eigene Hauswand in Flammen stand. Eine weitere Empfehlung ist, in besonders gefährdeten Wäldern präventiv Trockenmaterial zu verbrennen. Die Regierung des Bundesstaates Victoria will die Vorschläge prüfen. Experten warnen, die nächste Brandkatastrophe sei nur eine Frage der Zeit. Als Folge des Klimawandels verzeichnet Australien im Sommer seit Jahren steigende Durchschnittstemperaturen. Die führe dazu, dass es im Südosten des Landes im Durchschnitt etwa alle 13 Jahre statt wie bisher etwa alle 60 Jahre zu einer Feuersbrunst von katastrophalem Ausmaß kommen werde.

Die Frau an der Spitze des Polizeikorps war an dem „schwarzen Samstag“ beim Frisör

URS WÄLTERLIN