: Nazifrei und Spaß dabei
Keine Glatzen, keine Parolen, dafür Altpunks mit Dreadlocks und Kindern: Wie eine Oranienburgerin in Verden an der Aller NPD-Anhänger erst suchen muss, um gegen sie zu demonstrieren. Ein Bericht aus einer anderen Welt
AUS VERDEN AN DER ALLER EMILIE PLACHY
Verden an der Aller liegt ungefähr dreißig Kilometer von Bremen entfernt. Ein schönes Städtchen: der Dom aus dem 12. Jahrhundert, nette Menschen, eine gut funktionierende Stadtreinigung und eine Fußgängerzone mit einer Fohlenstatue aus Bronze. Manchmal schmückt diese Fußgängerzone zusätzlich ein hübscher kleiner Infostand der NPD. Genau wie zu Hause in Oranienburg, gar nicht weit weg von Berlin und doch eine andere Welt.
Auch in Verden stehen dann vier oder fünf Männer mit Scheitel und blauem Hemd am Infostand und verteilen ihre Prospekte. Doch etwas ist ganz anders als zu Hause in Brandenburg: In Verden bleibt fast niemand stehen, um mit den Scheitelträgern ein Schwätzchen zu halten. Kein Lächeln, nur böse Blicke. Weil niemand mit ihnen spricht, reden die Aktivisten halt miteinander.
Am vergangenen Wochenende war ich wieder in Verden. Am Samstag soll eine NPD-Kundgebung stattfinden. Wir wollen hingehen, auf der anderen Seite stehen. Schon Stunden vorher sind in der Stadt mehr Menschen als sonst unterwegs. Eine große Gruppe Radfahrer überholt mich, während ich die Punks auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachte. Ich sehe alte Leute, Menschen, die sich noch den Schlaf aus den Augen reiben, beim Bäcker ist einiges los. Aber wo sind die Nazis? Heute ist der große Tag der NPD, und ich sehe keine Glatze, kein Plakat weit und breit und höre auch keine Parolen.
Wir versuchen, zum Geschehen zu gelangen, doch das Geschehen ist nicht leicht zu finden. Die Nazis scheinen nicht zu demonstrieren, sie scheinen sich zu verstecken. Plötzlich sind dann doch überall Polizisten, schwarze und grüne. Sie bilden eine große dicke Mauer. Auf der einen Seite stehen ungefähr 50 bis 60 Leute hinter Transparenten. Sie rufen „Nazis raus!“ und schwenken Antifa-Fahnen. Auf der anderen Seite stehen – sage und schreibe – 18 Nazis. Halbherzig versuchen sie, ihre Gesichter zu verdecken, sie grinsen breit und ein bisschen verlegen – Pappfiguren mit NPD-Fahnen in den Händen. Ihre Parolen hört man kaum, denn die Antifa ist viel lauter: Pfeifen, Rufe und Sprechchöre. Genau wie zu Hause in Oranienburg – nur andersrum.
Einige Wortfetzen kommen doch an: „Das hier geht ja noch bis 15 Uhr, und wir hoffen, dass sich die Sonne noch so sehr dreht, dass auch noch einige von der gegenüberliegenden Seite braun werden“, sagt der Nachwuchsnazi, der an einem Gymnasium in der Nähe von Verden ein Einser-Abi gemacht hat und dessen Namen hier alle kennen. Die Antwort ist ein einminütiges Pfeifkonzert. Ich stelle mir vor, etwas in diesen Ausmaßen und mit dieser Willenskraft gäbe es in Oranienburg. Das wäre toll. Ich spüre, wie gut es tut, klar seine Meinung zu sagen, den anderen zu zeigen, was man von ihnen hält. Am Sonntag lese ich im Verdener Regionalblatt, dass am Bahnhof 53 Rechte demonstriert haben sollen und 200 Gegendemonstranten, dass 40 Rechte in Gewahrsam genommen wurden, darunter auch der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt.
Gerade mal 50 Meter von der Auseinandersetzung entfernt amüsieren sich kleine Kinder bei einem Straßenzirkus, organisiert vom Bündnis gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz. Aus den Boxen dröhnt die Filmmusik von „Die fabelhafte Welt der Amélie“, und auf der Bühne machen die Artisten Kunststücke mit ihren Körpern. Die Kinder klatschen begeistert, und der Moderator sagt: „Tut einfach so, als würde euch das da drüben alles nichts angehen.“ Im Publikum sitzen auch Ältere mit bunten Haaren, denen das warme Wetter zu schaffen macht. Irgendwann kommt ein Gegendemonstrant rüber, ein großer Mann mit an der Seite abrasierten Haaren und schwarzen Dreads, der eine Eisenkette um den Hals trägt, die von einem Vorhängeschloss zusammengehalten wird. Er setzt sich zu seinem Kind. Immer wenn auf der Bühne ein Kunststück gelingt, klatschen sie zusammen.
In Oranienburg gibt es keine Menschen über dreißig, die Kinder und Dreads haben. Dort sind die „Altpunks“ gerade mal um die 20 Jahre alt, der Nachwuchs ungefähr 14. Und zu sehen sind sie eher selten. In Verden scheinen gerade die Älteren mit Überzeugung dabei zu sein. Das ist es wohl, was die Antifa hier stark macht, stärker als im Osten. Mir tut es gut, das zu sehen. Jetzt weiß ich, was möglich ist.
In Verden ist es schon fast ein Verbrechen, rechts zu sein. Im nahe gelegenen Dorf Dörverden hat sich Jürgen Rieger, ein rechtsextremer Hamburger Rechtsanwalt, Mitte Dezember 2003 für angebliche Forschungszwecke ein Gehöft gekauft. Dort treffen sich jetzt augenscheinlich immer wieder fest in die Politik eingebundene Rechtsextreme. Die Menschen müssen sich doch bedroht fühlen, dachte ich mir, als ich das erste Mal davon hörte, und die Zahl der Rechten ist wahrscheinlich unwahrscheinlich hoch. Das war vor meinem ersten Besuch in Verden. Jetzt weiß ich, dass es mitten in der Stadt einen Jugendclub gibt, in dem Punkkonzerte veranstaltet werden, Menschen mit Irokesenfrisuren und Nietengürteln rumlaufen. Daneben stehen die mit den Dreads und unterhalten sich darüber, welchen Reggaekünstler sie wenigstens einmal in ihrem Leben gesehen haben müssen.
Als Rieger den Heisenhof, so heißt das Nazigrundstück, gekauft hat, zeigte sich die Lokalpolitik schockiert. Seitdem versuchen die Verdener, Rieger davon abzuhalten, den Hof für rechte Aktionen zu nutzen. Die Lokalzeitung warnt regelmäßig vor einer unterschwelligen Vernetzung der Rechten.
In Oranienburg würde so etwas mit großer Wahrscheinlichkeit kaum jemand erfahren. Dabei wird der Rechtsextremismus bei uns nicht einmal totgeschwiegen. Er wird einfach übersehen. Seit der Weltmeisterschaft kleben in Oranienburg „No Go Area“-Aufkleber an Laternenmasten. Niemand scheint es für nötig zu halten, sie abzumachen. Niemand fragt, wer damit immer wieder die ganze Stadt zupflastert. Die Polizei hält sich für nicht zuständig. In der Presse sind die Aufkleber kein Thema. Wenn in Verden die NPD türkischen Familien auf riesigen Plakaten eine gute Heimreise wünscht, dann sind die am nächsten Tag eingerissen oder jemand hat „Nazis raus“ draufgesprüht.
Nach sechs Stunden Fahrt bin ich wieder zu Hause. Am Bahnhof Oranienburg sehe ich wieder Glatzen, Lonsdale-T-Shirts, Thor-Steinar-Jacken und die „No Go Area“-Aufkleber. All das löst wieder diese leichte Beklemmung in mir aus. Doch etwas ist anders: Ich erinnere mich an mein Wochenende in Verden. Und weiß jetzt, dass es auch anders geht.
Emilie Plachy, 17, ist Schülerin an einem Oranienburger Gymnasium. Sie schrieb diesen Text unter Pseudonym
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