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Stille, intime Annäherung

ZURÜCKGENOMMEN Das fotografische Frühwerk von Nobuyoshi Araki in Hamburg

Gezeigt werden die Werke eines jungen, kaum mehr als dreißig Jahre alten Fotografen, der in den frühen 1970er Jahren noch weit entfernt war vom Ruhm des Popstars

VON STEFFEN SIEGEL

Wer das künstlerische Werk des japanischen Fotografen Nobuyoshi Araki auch nur flüchtig kennt, dem fallen gewiss allerlei Assoziationen ein, nur die eine nicht: Zurückhaltung. Durch Zurückhaltung ist dieser Popstar des internationalen Kunstbetriebs bisher jedenfalls gewiss nicht aufgefallen. Araki ist ein Großmeister der Selbstinszenierung: Steht er selbst vor der Kamera, dann sitzt an ihm, von der wirren Frisur bis zur schrillen Sonnenbrille, einfach alles. Und auch die Bilder, für die er berühmt geworden ist, wollen immer mehr sein als bloß laszive Aktfotografie: nichts weniger als Übungen in Sadismus. Der nackte weibliche Körper dient hier nicht allein als Objekt für den gierigen männlichen Blick. Durch Fesseln und Knebel werden diese Körper in einer Weise zugerichtet, die eher an machistische Brutalität als an lustvolle Spielerei denken lassen. Die Prüderie der Zensoren jedenfalls hat Araki mehr als einmal erfolgreich herausgefordert. Und selbst in seinen weniger drastischen Sujets muss man auf den ganz großen visuellen Auftritt nicht verzichten: Blumen sind vor der Kamera des Japaners stets knallbunte Ereignisse. Auch ist die Zahl der Künstlerbücher, in denen er diese Sujets aufgreift und mit denen er die Regale seit Jahrzehnten mehr flutet als füllt, längst legendär.

Wenn nun das Hamburger Haus der Photographie eine Retrospektive von Arakis Arbeiten ausgerechnet unter dem Titel „Silent Wishes“ ankündigt, wie soll das etwas anderes als ein sonderbarer Einfall der Kuratoren sein? Und doch ist die Ausstellung gerade ebendies: eine stille und trotz der hohen Säle in den Deichtorhallen überaus intime Annäherung an ein berückendes fotografisches Werk. Denn bei der Mehrzahl der ausgestellten Bilder handelt es sich um eine Rückkehr zu Arakis Anfängen. Gezeigt werden die Werke jenes jungen, kaum mehr als dreißig Jahre alten Fotografen, der in den frühen 1970er Jahren noch weit entfernt war vom Ruhm des Popstars, der ihn heute so aufdringlich umgibt. Und bereits in diesen frühen Arbeiten zeigt sich, dass der nackte weibliche Körper das große Faszinosum dieses Fotografen ist. Doch während er in zeitgleich entstandenen Polaroids, erst recht aber in den großen, in jüngerer Zeit entstandenen Tableaus beharrlich auf obszöne Inszenierungen setzen wird, versucht sich Araki hier an einer weit komplizierteren Aufgabe: In den frühen Bildern gilt es noch, die Balance zu wahren zwischen Zeigen und Verbergen. Gerade das, was nicht sichtbar wird, ist es, was erst recht reizt.

Dabei kann man sich schwer des Eindrucks erwehren, dass Araki bei diesem fortgesetzten Spiel von Verhüllungen nur mit Mühe Herr über sein exklusives Fotomodell wurde. Denn beinahe in jedem dieser Bilder blickt Yoko Aoki, seit 1971 Ehefrau des Fotografen, mit voller Souveränität in das auf sie gerichtete Objektiv. Ihr Gesichtsausdruck ist von undurchdringlichem und beinahe verstörendem Ernst, so, als könne sie gar nicht lächeln, geschweige denn befreit lachen. Kaum lässt sie sich von der voyeuristischen Schaulust des eigenen Ehemanns beeindrucken. Und unter der Hand wird sie hierbei zur eigentlich Regisseurin all dieser auf sie gerichteten Blicke. Was auf der Hochzeitsreise des jungen Paars begann und als „Sentimental Journey“ später in Buchform publiziert wurde, scheint auch die weiteren gemeinsamen Jahre geprägt zu haben: eine Ehe in Bildern, bei der die im übrigen Werk Arakis so eindeutig zugewiesenen Rollen keinesfalls von vornherein verteilt waren.

Zu den häufig wiederholten Klischees um Arakis fotografisches Gesamtwerk gehört es, seinen Bildern ein besonderes Verhältnis von Sexualität und Tod, von Eros und Thanatos nachzusagen. Wenn dies tatsächlich zutreffen solle, dann wohl vor allem für die kleine, nicht mehr als zwölf Aufnahmen umfassende Serie „Winter Journey“ aus den Jahren 1989 und 1990. Aus düsterem Anlass findet der Meister der ganz großen fotografischen Orgeltöne hier zu einem bewegenden kammermusikalischen Ton. Es handelt sich um ein überaus intimes Tagebuch in Fotografien, das vom schrittweisen Abschied der schwer erkrankten, im Sterben liegenden und zuletzt im offenen Sarg aufgebahrten Yoko berichtet. Mit der unerbittlichen Logik einer fotografischen Serie strebt diese Winterreise Bild um Bild ihrem traurigen Ende entgegen. Und weder ist der Fotograf hierbei sentimental, noch gibt er sich, ganz entgegen seiner sonstigen Ästhetik, als ein aufdringlicher Zeitgenosse. Hier wird nun der stille Wunsch, von dem der Titel dieser äußerst sehenswerten und tatsächlich sehr leisen Ausstellung spricht, unmittelbar greifbar.

■ Bis 29. August, Deichtorhallen Hamburg, Katalog 22 Euro

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