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VOR 200 JAHREN STARB JOHANN GOTTLIEB FICHTEGlanz und Elend des Subjekts

Gott und die Welt

MICHA BRUMLIK

Am ersten Tag ihrer internationalen Konferenz begaben sich die Teilnehmer der Fichte-Gesellschaft zum Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, um dort einen Kranz niederzulegen. Gedacht wurde des vor 200 Jahren gestorbenen Johann Gottlieb Fichte, der am 29. Januar 1814 in Berlin dem Wundfieber erlag.

Wie kein anderer Denker verkörpert Fichte, 1762 als Sohn einer Bandwirkerfamilie geboren, Glanz und Elend nicht nur der idealistischen Philosophie, sondern des modernen Subjekts. Fichte, als junger Mann einer der entschiedensten Befürworter der Französischen Revolution, wollte den Gedanken eines absolut gesicherten Wissens mit der Wirklichkeit radikaler Freiheit und moralischer Verantwortung verbinden. Jahre später, im Widerstand gegen Napoleon, wandelte er sich zum schwülstigen Deutschtümler. So vertrat er in seinen „Reden an die deutsche Nation“ allen Ernstes die These, dass die deutsche Sprache für das Philosophieren und damit für Kultur und Freiheit besonders geeignet sei und die Deutschen daher eine welthistorische Mission hätten.

Als 1914, in jenem Jahr, da die akademische Philosophie des einhundertsten Todestages Fichtes gedachte, der große Krieg ausbrach, bewog das nicht wenige Kathederpropheten, den französischen „Ideen von 1789“ die „Ideen von 1914“ entgegenzusetzen: „Kultur“ anstatt „Zivilisation“, „Gemeinschaft“ anstatt „Gesellschaft“, „(Staats)sozialismus“ anstelle von „Liberalismus“.

Thomas Mann gab den „Ideen von 1914“ in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ ihren deutlichsten Ausdruck, der Wirtschaftshistoriker Werner Sombart erkannte in diesem Waffengang gar den Krieg selbstverständlich deutscher „Helden“ gegen angelsächsische „Händler“. Dass sich der NS-Staat und seine Intellektuellen auf Fichte beriefen, lag nahe: Helmut Schelsky, einer der Gründer der westdeutschen Nachkriegssoziologie, wurde nach Eintritt in SA und NSDAP mit einer Arbeit über Fichte promoviert und nach dem Krieg und einer Zeit im Abklingbecken des Roten Kreuzes zum Doyen der bundesdeutschen Soziologie. Arnold Gehlen, in der Bundesrepublik Begründer eines autoritären Institutionalismus, trat 1933 in die NSDAP ein und publizierte 1935 ein Buch über „Deutschtum und Christentum bei Fichte“.

Auch die DDR mit ihrem deutschen Sozialismus suchte Fichte zu beerben: hatte der doch im Jahr 1800 die Schrift „Der geschlossene Handelsstaat“ publiziert, die zu Recht als Plädoyer für einen nationalen Staatssozialismus galt. Entsprechend widmete ihm die DDR nicht nur Münzen und Briefmarken, sondern taufte sogar ein Schiff auf seinen Namen.

Gleichwohl – und das macht seine Aktualität aus – war er mehr als nur Stichwortgeber eines abenteuerlichen Nationalismus. 1794 verkündete Fichte in anrührenden Worten die Gleichheit und Würde aller Menschen: „Wo du auch wohnest, du, der du nur Menschenantlitz trägst; ob du auch noch so nahe grenzend mit dem Tiere unter dem Stecken des Treibers Zuckerrohr pflanzest oder ob du an des Feuerlandes Küsten dich an der nicht durch dich entzündeten Flamme wärmst … oder ob du mir der verworfenste, elendeste Bösewicht scheinest – du bist darum doch, was ich bin: denn du kannst mir sagen: Ich bin. Du bist darum doch mein Gesell und mein Bruder.“

Fichte, der zeittypisch vom „Bruder“ und nicht etwa von einer „Schwester“ sprach, hatte sich 20 Jahre später von seiner Frau Johanna, geborene Rahn, die verwundete antinapoleonische Freiheitskämpfer pflegte, mit jenem Wundfieber infiziert, an dem er starb. Sie überlebte ihren Gatten um fünf Jahre. Fichtes Subjekt jedoch, das „Ich“, das er zu ergründen und in seiner Beziehung zu Bewusstsein und Selbstbewusstsein zu ermessen suchte, war durch und durch männlich, von panischer Angst vor dem Weiblichen geprägt. Fichte, das verbindet ihn mit heutigen Fundamentalisten aller Religionen – war ein Apostel weiblicher Zucht: „Für das Weib“, so Fichte in einer „Sittenlehre“ von 1798, „ist Keuschheit das Prinzip aller Moralität“.

Das moderne Subjekt – in Bewusstsein und Selbstbewusstsein, in beruflicher, erotischer sowie in politischer Existenz als Nation – Johann Gottlieb Fichte hat ihm Ausdruck verliehen wie kein anderer.

Micha Brumlik ist Publizist und Erziehungswissenschaftler. Er lebt in Berlin

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