jazzkolumne: Wenn der Big Deal auch nicht hilft
David Spencer Ware ist einer der beiden besten Saxofonisten der USA – seiner Musik fehlt nur eins: der Wille zur Vermarktbarkeit
Eine Statue des Ganesha schützt das Haus, heißt es, und tatsächlich hat das Bild des Elefantengottes, ganz wie es die Symbolik vorschreibt, auch nur einen Stoßzahn. Doch der Rüssel des Ganesha, der auf dem Cover der 3-CD-Box „Live In The World“, die 2005 beim amerikanischen Indie-Label ThistyEar erschien, zu sehen ist, sieht wie ein goldenes Saxofon aus. Der afroamerikanische Saxofonist David Spencer Ware beschäftigt sich schon seit 30 Jahren mit der hinduistischen Gottheit – Weisheit und Intelligenz, Schutz bei Veränderung und Glück für den Weg werden von ihm erhofft. In den Liner Notes betet er Ganesha in Gedichtform an, und doch läuft es bei Ware im wirklichen Leben nicht gerade rund.
Ware lebt in Scotch Plains, eine dreiviertel Autostunde von Manhattan entfernt. In Scotch Plains wuchs er auf, jetzt ist er 56 und neben Sonny Rollins der beste Saxofonist, den es auf der amerikanischen Szene gibt. Nur dass ihm und seiner Musik etwas Entscheidendes fehlt: Vermarktbarkeit. Es gibt zwei Leute, denen Ware verdankt, dass er über Insiderkreise hinaus bekannt wurde: Branford Marsalis und Anne Dumas, seine französische Managerin.
Marsalis entdeckte Ware 1997 und verpflichtete ihn für das Columbia-Label – ein unerwartet großer Deal für einen Musiker aus der Free-Jazz-Zone. Doch zwei CDs und knapp drei Jahre später war schon wieder Schluss damit, nicht nur für Ware übrigens, sondern auch für Marsalis in seiner Eigenschaft als Talentsucher für Columbia.
Vor einem Monat nun gab Ware beim New Yorker Vision-Festival das letzte US-Konzert seines legendären Quartetts, in dem der Pianist Matthew Shipp und der Bassist William Parker schon von Anfang an, also seit 1989, mit ihm zusammen spielen. Es habe nichts genützt, sagt Ware backstage nach dem einstündigen Konzert, das trotz aller Inspiration und Intensität – wohl wegen der Last-call-Ankündigung im Vorfeld – ein eher trauerndes Publikum zurückließ. Wenn er erst mal einen großen Plattenvertrag habe, würde sich alles ändern, hätten ihm die Manager gesagt.
Und als er den Big Deal hatte, blieben die Angebote dennoch aus – denen würde es also nicht um die Musik gehen, sie reagieren nur, wenn große Dollarzeichen in den Blick kommen, lamentiert Ware. Müßig zu sagen, ob man ihn nun als frustriert oder realistisch einstufen soll, erschwerend kommt hinzu, dass Ware in die gängigen Jazzclubs auch einfach nicht passt. Er will nicht, dass die Leute während seines Konzertes Alkohol und Essen zu sich nehmen, und auch nicht, dass sie sich dabei unterhalten. Seine Haltung ist nicht nur in der Musik selbst spürbar, er hat es in den Liner Notes zu seinen Alben immer wieder deutlich gemacht.
Als 25-Jähriger spielte er mit der Cecil Taylor Bigband in der Carnegie Hall, und auf der soeben erschienenen 3-CD-Compilation „Wildflowers – Loft Jazz New York 1976“ (Douglas) kann man ihn in Sam Rivers’ legendären RivBea-Studio mit der Band des Schlagzeugers Andrew Cyrille hören. Wares Erzählung von einem Sonntagsnachmittag-Clubgig Mitte der Siebziger ist schnell zusammengefasst: Gleich nach seinem ersten Solo kam der Besitzer zu Ware an den Bühnenrand und bat ihn aufzuhören.
Beim JVC-Jazzfestival gab es vergangenen Monat einen Konzertabend in der Carnegie Hall, der Lorraine Gordon, der Besitzerin des New Yorker Jazzclub Village Vanguard, gewidmet war. Joe Lovano, Roy Hargrove und The Bad Plus traten auf – doch David S. Ware schüttelt sich nur. Er habe in dem 123 Besucher fassenden Kellerclub einst Thelonious Monk, Rahsaan Roland Kirk, John Coltrane, Sonny Rollins und Miles Davis erlebt, doch er selbst dürfe dort nicht auftreten. Stattdessen lauter Leute, von denen er noch nie in seinem Leben gehört habe. Die Plattenfirmen würden ihre Künstler heute in die Clubs einkaufen – ohne Geld im Rücken kein Konzert, so Ware.
Wer genauer hinschaut, ahnt, wovon er spricht: Die drei Konzerte, von denen auf „Live In The World“ lange und sehr lange Stücke zu hören sind, sind in Italien und der Schweiz mitgeschnitten worden, nicht in den USA. Von daher sei das letzte US-Konzert seines Quartetts auch vor allem als Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu verstehen, Ware fordert bessere Arbeitsbedingungen für kreative Künstler und weiß doch sehr genau, dass nur etwas passiert, wenn einzelne Menschen, die die Musik lieben, sich dafür einsetzen. Ware nennt seine französische Managerin einen Glücksfall – er selbst hätte es allein wohl kaum auf europäische Bühnen geschafft, sagt er.
Wares Musik ist mehr als ein Gebet, sie beschwört. Es geht ihm um Bewusstsein und Wertesystem, um die Fragen, wie man sich und die Welt wahrnimmt und wofür man lebt. Er brauche nicht viel, zum Glück, sagt Ware, und seine Frau unterstütze ihn, er wüsste nicht, wo er ohne sie wäre. Er könne mit dem, was andere als ganz wenig Geld bezeichnen, sechs bis acht Monate auskommen, außer Lebensmittel und ein paar Bücher, die er über das Internet ordert, leiste er sich nichts. Das Haus, in dem er wohnt, sei zwar stark reparaturbedürftig, und der nächste fest gebuchte Auftritt wäre erst Anfang kommenden Jahres in Europa, berichtet Ware – gute Zeit also für etwas Neues. Vor allem mit Streichern wolle er mehr experimentieren, die großen Sounds von seiner CD „Threads“ (ThirstyEar) weiter entwickeln. Musik machen, die Tiefe hat und doch schwebt – Ware ist sich sicher, dass Ganesha ihn dabei unterstützen wird.
CHRISTIAN BROECKING
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