Clochards in Zelten sollen verschwinden

Eine Hilfsorganisation hatte im vergangenen Winter in Paris Zelte als Notunterkünfte verteilt. Sie sollten die Öffentlichkeit gegen das Elend aufrütteln. Stattdessen protestieren BürgerInnen. Und der linke Bürgermeister sorgt sich wegen der Wahlen

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Keine Zierde für das Pariser Stadtbild sind nach Ansicht empörter Anwohner und der kommunalen Behörden die Obdachlosen, die in Wohnquartieren und unter Seine-Brücken in Zeltlagern leben. Nach wochenlangem Streit über die Elendsunterkünfte zündeten am Wochenende Unbekannte vier Zelte an.

Touristen, die auf den „Bateaux Mouche“ gemächlich über die Seine schippern, bietet sich ein merkwürdiges Bild: Unter mehreren Brücken sind Zelte aufgeschlagen, dazwischen hängt Wäsche zum Trocknen. Manchmal sitzt ein „Clochard“ freundlich winkend am linken Flussrand. Auf dem rechten Ufer veranstaltet die Hauptstadt ihr übliches Sommerereignis „Paris Plage“. Mit tonnenweise Sand, Palmen im Topf und Liegestühlen ist die Illusion einer Strandlandschaft geschaffen. Eigentlich würde Camping dazu passen. Aber die Stadtbehörden sehen es mit wachsendem Ärger, dass die Obdachlosen, die Sans-Domicile-Fixe (SDF), ausgerechnet hier zelten und ihre Misere vor aller Welt ausbreiten.

Der linke Stadtpräsident Bertrand Delanoë hat mitgeteilt, es gehe ihm nun darum, „mit einem entschlossenen, aber humanen Vorgehen die Zeltbewohner dafür zu gewinnen, dass sie (als Alternative) eine Beherbergung akzeptieren“. Seit Tagen versuchen Rathausmitarbeiter, die SDF zu einem freiwilligen Abzug zu bewegen. Sie bieten ihnen Plätze in Heimen und Notunterkünften an. Und warnen sie vor den Folgen der Hitze. Hinter den Zelten steckt eine bewusste Provokation. Seit dem Winter verteilt die Hilfsorganisation Médecins du Monde (Ärzte der Welt) kostenlos die Igluzelte an Obdachlose. Dabei ging es MDM nicht nur darum, den auf der Straße lebenden Menschen Schutz vor Kälte oder Hitze zu bieten. Erklärte Absicht war es auch, „die Armut und das Wohnproblem sichtbar zu machen“, sagt Graziela Robert, die für dieses Programm von MDM in Paris zuständig ist. Zu lange habe die Gesellschaft der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen wollen.

Dass viele Clochards und junge Nomaden, die in den Zelten leben, keine vorübergehende Unterkunft akzeptieren, kann Robert verstehen. „Diese Heime entsprechen nicht den Bedürfnissen“, weil sie ihre „Gäste“ um 7 Uhr früh auf die Straße schicken. In den Zentren, die sich meist am Stadtrand befinden, werde gestohlen, und das Zusammenleben für Paare sei verboten. „Wir werden weiterhin Zelte ausgeben, solange keine wirkliche Lösung für Leute existiert, die eine Notunterkunft ablehnen.“

Laut dem Statistischen Amt Insee gibt es in Frankreich 86.000 Obdachlose. Schätzungsweise 2.000 von ihnen schlafen in Paris auf der Straße, etwa 350 haben ein MDM-Zelt bekommen, das wie eine Signalboje in Paris auf die Existenz der Obdachlosen hinweist. Der Druck empörter Anwohner, die seit Wochen oder Monaten gegen die unerwünschten Nachbarn protestieren, wächst. Die Stadtbehörden ihrerseits zittern vor den Kommunalwahlen im Jahr 2008.

Am Wochenende ist der Streit um die Zelte gefährlich eskaliert. Unbekannte warfen im 10. Pariser Arrondissement eine brennbare Flüssigkeit auf vier Zelte und steckten sie in Brand. Verletzt wurde niemand. Zwei der Bewohner aber seien noch völlig schockiert gewesen, als sie mit ihrer Equipe wenig später am Sonntagmorgen vor Ort eingetroffen sei, berichtet Graziela.