Kulturbrache für alle

FESTIVAL Am alten Platz entsteht die Landesgartenschau, das Norderstedter „Schall & Rausch“-Festival findet trotzdem statt – vier Kilometer weiter auf einer Industriebrache

Das freie Feiern lassen sich die OrganisatorInnen auch in diesem Jahr nicht verbieten

VON ROBERT MATTHIES

Jahrzehntelang war er allen kostenlos und frei zugänglich, der Norderstedter Stadtpark rund um die „Costa Kiesa“ genannte Kiesgrube an der Schleswig-Holsteiner-Straße: Hier, ein paar Fahrradminuten vom U-Bahnhof Norderstedt-Mitte entfernt, traf man sich im Sommer zum Grillen, zum Sonnenbaden, zum Schwimmen trotz Badeverbot oder zum Feiern unter freiem Himmel nebst romantischem Sonnenuntergang.

Und einmal im Jahr sogar für ein richtiges Festival. Bis auf eine Ausnahme – als das Norderstedter Soziale Zentrum geräumt werden sollte und verteidigt werden musste – fand seit 17 Jahren auf der großen Wiese rund um den kleinen Baggersee das freie, selbst verwaltete und unkommerzielle Festival „Schall & Rausch“ statt. Explizit als ein „erleb- und fühlbarer Ausdruck eines Bedürfnisses nach einer Gesellschaft ohne Unterdrückung, Ausbeutung und Intoleranz“. Um Erlaubnis bei der Stadt hat dafür folgerichtig und aus guter Tradition in all diesen Jahren niemand gefragt. Für drei Tage wurden einfach Livebühnen, Essensstände, Workshopzelte, DJ-Pulte und ein kleines Zeltdorf mitten im öffentlichen Raum aufgebaut. Auch wenn das einigen Ordnungsliebenden ein Dorn im Auge war – groß kann er nicht gewesen sein: geräumt wurde das Festival in all den Jahren nicht einmal.

Im letzten Jahr aber begann sich alles zu verändern: am angestammten Platz hat die Stadt Norderstedt mit dem Bau ihres Prestigeprojekts Landesgartenschau 2011 begonnen. Unter dem Motto „Ideen in Natur“ wird das 72 Hektar große Gebiet rund um die Kiesgrube für 20 Millionen Euro in drei Bereiche unterteilt: einen „Waldpark“, einen „Seepark“ und einen „Feldpark“, dazu Spielplätze, Hallenschauen, Themengärten und Rundwege. Das seit Jahrzehnten von Jung und Alt genutzte Naherholungsgebiet soll so „dauerhaft zu einem Naherholungsgebiet für Jung und Alt werden“.

Mit dem freien Zugang für alle ist dann aber Schluss: Wer in Sonne oder Wasser baden will, wird hier zukünftig Eintritt bezahlen müssen, schon heute ist das ganze Gelände großräumig abgeriegelt. Das „Schall & Rausch“-Festival fand deshalb im letzten Jahr zum letzten Mal an der „Costa Kiesa“ statt – 300 Meter weiter südlich und ohne Bademöglichkeit. Gelohnt hat es sich dennoch: nach aller Befinden war das friedliche Fest eines der schönsten seit langem.

Trotz des Abschieds vom angestammten Platz aber lassen sich die OrganisatorInnen aus dem Umfeld des Sozialen Zentrums das freie Feiern auch in diesem Jahr nicht verbieten: eine brachliegende Grünfläche am viereinhalb Kilometer nördlich gelegenen Gewerbegebiet, an der Oststraße 95, wird ab Freitag für drei Tage möglichst umweltfreundlich in ein Festivalgelände verwandelt, das allen „Schall & Rausch“-BesucherInnen wieder das Gewohnte und Bewährte bietet: Bands, überwiegend aus dem bodenständigen Punkbereich, StraßenkünstlerInnen und DJs, die sich um die FreundInnen elektronischer Tanzmusik kümmern. Eintritt muss dafür auch in diesem Jahr niemand zahlen – tatkräftige Unterstützung wird dafür umso lieber gesehen, aufgebaut wird am Freitag ab 12 Uhr.

Und gebadet werden kann in diesem Jahr übrigens auch wieder: zum gegenüber gelegenen – offiziellen und DLRG-überwachten – Badesee sind es zu Fuß nur ein paar Minuten.

■ Fr, 6. 8. bis So, 8. 8., Brachfläche an der Oststraße 95 in Norderstedt, Infos und Programm: www.schallundrausch-festival/2010