Die Arbeit fährt mit

Der Norden auf dem Münchner Filmfest I: Die Regisseurin Franziska Stünkel aus Hannover hat mit „Vineta“ ihren ersten Spielfilm gedreht. Er ist prominent besetzt, doch Aufregung darüber ist Stünkel fremd. Lieber sammelt sie beim Zugfahren Ideen für ihr nächstes Projekt

„Ich hebe Gedanken auf“, sagt Franziska Stünkel. „Die schreibe ich auf Bierdeckel oder Taschentücher“

von Carolin Ströbele

Als auf der Bühne der Spot angeht, atmet die zierliche Frau mit den langen, dunklen Haaren einmal tief durch und läuft nach vorn ins Licht. Nervös wirkt Franziska Stünkel nicht, als sie auf dem Münchner Filmfest ihren Debütspielfilm „Vineta“ ankündigt. Und wenn die 32-Jährige aus Hannover später im Café über die Produktion von „Vineta“ spricht, klingt alles ganz leicht, fast selbstverständlich.

Dabei hat die Absolventin der Filmklasse in Hannover für ihren Erstling ein beeindruckendes Staraufgebot aufgestellt: Neben Peter Lohmeyer und Susanne Wolff sind sogar die Nebenrollen prominent besetzt. Bela B. von den „Ärzten“ spielt einen wortkargen Schiffer und hat gemeinsam mit „Wir sind Helden“ einen Song extra für den Film produziert.

Zwischendurch sagt Stünkel zwar auch mal Sätze wie: „Es war ein großer, intensiver Arbeitsprozess.“ Doch dann hält sie ganz schnell wieder inne, als ob sie merken würde, dass so ein Satz gar nicht zu ihr passt. Eher dieser: „Ich höre gerne zu.“ Man merkt es ihrem Film an, dass sie eine aufmerksame Beobachterin ist. Für ihre Geschichte über den Architekten Färber (Peter Lohmeyer), der sich fast zu Tode arbeitet, hat sie sich lange mit einem Experten für Arbeitssucht unterhalten. Von dem wisse sie, dass Arbeitssucht eine Abhängigkeit sei, die man besonders schwer überwinden könne, weil der „Stoff“ Arbeit immer in Greifweite sei. Es sei eine Sucht, die gesellschaftlich akzeptiert, ja sogar gefordert werde.

Stünkels Film, der auf dem Theaterstück „Republik Vineta“ von Moritz Rinke basiert, ist wesentlich beklemmender als seine Vorlage. „Ich wollte mich eher am Drama orientieren als an der Satire“, sagt die Regisseurin, die für das Drehbuch für den Förderpreis Deutscher Film nominiert wurde. Doch trotz der beklemmenden Grundstimmung von „Vineta“ hat Stünkel den Rausch und das Leiden des Workaholic Färber gleichzeitig auf sehr sinnliche Weise in Szene gesetzt. Man sieht rohes Fleisch, wenn es in Färbers Venen pocht, sein graues Gesicht und das Blau des Computerbildschims verschwimmen ineinander.

An solchen Einstellungen erkennt man, dass Stünkel sehr von Malerei und Fotografie beeinflusst ist – ursprünglich wollte sie Fotografie studieren. Das Medium Film habe sie dann überzeugt, „weil es so etwas schönes Altmodisches hat. Wir lassen uns in der heutigen Zeit auf so wenig ein. Da finde ich es schon fast unglaublich, dass sich ein Saal voller Menschen 90 Minuten lang entführen lässt“.

Über ihre Hauptfigur Färber, der alle Warnungen seiner Mitmenschen und seines Körpers überhört, sagt sie: „Er beschleunigt sich immer mehr. Färber bekommt keinen Herzinfarkt, sondern einen Zeitinfarkt.“ Das Thema Überarbeitung und Burn-Out habe bei den Zuschauern des Münchner Filmfests offenbar einen Nerv getroffen, erzählt Stünkel. „Viele haben nach der Vorstellung die Nähe zu mir und Peter Lohmeyer gesucht. Einige haben sich in der Person des Färber durchaus wiedererkannt.“

Auch in ihrem eigenen Freundeskreis beobachte sie, dass der Stress zunimmt: „Ich glaube, gerade die Leute zwischen 30 und 40 sind besonders stark betroffen. Es gibt dieses neue Phänomen, dass man die Arbeit mit nach Hause nimmt, Rechner und Handy sind ständig angeschaltet.“ Und sie selbst? „Ich wohne gerade im Zug“, sagt Stünkel und lacht. „Ich kenne schon die ganzen Service-Kräfte im Bordrestaurant.“ Gestresst wirkt sie dabei nicht, eher kann man sich vorstellen, wie sie beim Dahingleiten der Landschaft neue Ideen sammelt. „Ich hebe Gedanken auf“, erzählt sie. „Die schreibe ich auf Bierdeckel oder Taschentücher und dann kommen sie in eine große Kiste.“

Was die Regisseurin als nächstes aus dieser Kiste ziehen wird, verrät sie nicht. Nur so viel: „Ich mag gesellschaftspolitische Stoffe und glaube, es ist gerade ein guter Zeitpunkt, sie zu machen.“