Berlin, Bier, Backpacker

Sommer in der Stadt, das ist auch die Zeit der Rucksacktouristen. Sie kommen aus Australien oder den USA, wohnen in Hostels, und manchmal gehen sie auf Billigtour. Zum Beispiel zum Pub Crawl. Jede Menge Clubs für nur 10 Euro. Ein Erlebnisbericht

„Die Pub Crawler fallen ein wie eine Busladung Pauschalreisenderin ein Bauchtanzlokal“

von David Denk

Brook hat Radler gekauft. Aus Versehen. Jetzt wundert er sich über den süßlichen Geschmack, aber nur kurz. „Schmeckt gut“, sagt er und trinkt unbeeindruckt weiter. Von einem Fehlkauf lässt sich ein Australier die Laune nicht verderben – erst recht nicht im Urlaub.

Im Moment jedoch macht der 22-Jährige zusammen mit einem knappen Dutzend anderer Rucksackreisender im common room des Lette’m sleep, einem Hostel am Helmholtzplatz, bei einer Flasche deutschem Bier Urlaub vom Urlaub. In ihrem Geplauder geht es kaum um Deutschland und Berlin, sondern fast nur um amerikanische Kinofilme und Fernsehserien. Hauptsache, der Gesprächsfaden reißt nicht ab.

„Diese Themen sind unsere gemeinsame Basis“, sagt einer von ihnen, Gabriel, später. „Das ist, als wären wir aus dem gleichen Ort.“ Jeder bekommt ein paar Sekunden Zeit, sich als besonders eloquent und witzig zu profilieren. Außer Brook macht Gabriel aus Florida davon besonders eifrig Gebrauch. Er ist schon 30, die anderen sind teilweise gerade erst mit der Schule fertig und wollen jetzt erst mal die Welt sehen. So wie Backpacker die Welt eben sehen.

Nach Albanien verirrt sich kaum einer von ihnen. Dort hat Gab, der Ex-Marine und gelernte Sanitäter mit dem Siebentagebart, den Cargohosen und dem großen Engeltattoo auf dem Rücken, in den letzten zweieinhalb Jahren ein Krankenhaus Gerät für Gerät, Schulung um Schulung, westlichen Standards angenähert. Als er anschließend nach Berlin gekommen ist, habe er sich besonders darüber gefreut, wie belebt die Straßen waren: „Hier ist es leicht, eine gute Zeit zu haben.“

Zumal an einem Sommerabend wie diesem mitten im hippen Prenzlauer Berg. Doch statt einfach vor die Tür zu gehen, studieren Brook, Gab und die anderen, nur Jungs übrigens, die Flyer im Regal, die mit den Fotos von euphorisierten jungen, hübschen Frauen für die nach Aussage von Jeanine Peters (Colorado) „craziest night of my trip“ werben: den „Pub Crawl“ – eine Handvoll Bars und Clubs bei freiem Eintritt und einige Pinnchen Schnaps für 10 Euro pro Person.

20.50 Uhr. Vor der Kellerbar „Silberfisch“, dem Treffpunkt an der Oranienburger Straße, wird bei ihrer Ankunft schon ausgiebig auf der Straße getrunken – was sie mindestens genauso beeindruckt wie der Straßenstrich, an dem sie gerade vorbeigekommen sind, und ein Werbeplakat für dauerhafte Haarentfernung in der U-Bahn, auf dem eine nackte Frau zu sehen ist.

„Hat Deutschland ein Alkoholproblem?“, fragt Brook besorgt. Mit seinen Röhrenjeans und der Mao-Kappe sieht er aus wie der Sänger einer „The“-Band. Sie zahlen, bekommen einen Stempel und holen sich unten an der Bar ein Bier. Dazu gibt’s einen Apfelkorn gratis. Im hinteren Teil der Bar spielt der DJ Nirvana, „Come As You Are“. Keiner tanzt.

Der Guide an diesem Abend heißt Rob. Überall, wo der kleine Australier mit der Baseballkappe und der heiseren Stimme stehen bleibt, scharen sich euphorisierte und bald auch beschwipste Backpacker um ihn wie Vögelchen um ihre Mutter, denn dann zieht Rob eine Flasche Vodka Orange aus dem Rucksack und schenkt eine Runde aus: Cheers! An diesem Abend hört man auch oft „Skol“, denn etwa 20 der 90 Pub Crawler gehören zu einer schwedischen Schulklasse, Robs treuesten Abnehmern.

Bis zur nächsten Bar sind’s keine 100 Meter – weit genug für zwei Runden Vodka Orange von Rob. Die Gruppe scheint nur aus glücklichen Menschen zu bestehen. Beseelte, flirtende, trunkene Blicke. Ganz anders die der Passanten auf der Touristenmeile: Die schauen ungläubig, abschätzig, pikiert.

Die Pub Crawler fallen ins „Studio 54“ ein wie eine Busladung Pauschalreisender in ein türkisches Bauchtanzlokal. Auf dem Flyer steht: „Triff andere Traveller, die feiern wollen, und sieh eine Seite von Berlin, die du selbst nicht finden würdest.“

Im „Studio 54“ kostet jeder Jägermeister einen Euro. Susan aus Los Angeles fragt Gab aus Fort Myers nach seiner Lieblingsstellung. Brook erzählt, dass er für seine gerade begonnene zweijährige Weltreise daheim in Wagga Wagga drei Jobs parallel gemacht hat: in einem Fotolabor, nach Feierabend Regale auffüllen im Supermarkt und am Wochenende hinterm Tresen.

Vor dem „Kurvenstar“, der dritten Bar des Abends, raunt ein Passant: „Oh nein, jetzt gehen die da rein“ – und macht auf dem Absatz kehrt. Drinnen erzählen die kalifornischen Freundinnen Mo und Cat, dass drei Tage ideal für den Besuch einer Hauptstadt sind.

Sal, der wahrscheinlich gar nicht Sal heißt und auf keinen Fall Engländer ist, wie er behauptet, fordert reihum jeden zum Daumencatchen heraus. Warum? „Weil’s hier sonst so unpersönlich ist.“ So käme man wenigstens ins Gespräch. Bevor’s dazu kommen kann, ist er wieder verschwunden. Gab schwärmt von München: „Da hat jede Kneipe ihr eigenes Bier.“

„Follow me, you fucking bastards!“ 23.30 Uhr. Robs Ton hat sich dem Alkoholisierungsgrad der Gruppe angepasst. Vor dem „Mudd Club“ bittet er den ausgelassenen Zug um Ruhe – vergeblich. Drinnen wacht die Barfrau streng darüber, dass sich jeder nur einen Begrüßungs-Jägermeister vom Tablett nimmt. Frage an Rob, der sich angeregt mit einer Schwedin unterhält: Ist das dein Traumjob? „Of course.“ Ein schräger Blick. Egal. Weiter. Was bist du für die Frauen hier? Ein cooler Typ oder nur der mit dem Vodka? „Half-half.“

Vor dem „2be Club“ wartet die Gruppe in der ersten Schlange des Abends – aber nicht lange. Rein in die riesige Fabrikhalle, wo grimmig dreinschauende Hünen in nachthemdlangen T-Shirts zu Hiphop-Musik rumstehen. Das Tanzen überlassen sie ihren sehr blonden Freundinnen bzw. denen, die es werden wollen. Die Backpacker-Gruppe zerstreut sich, auch weil vielen die Musik nicht gefällt. Gab fährt zurück ins Hostel. Am nächsten Morgen will er nach Dresden. Brook späht von den Sitzpodesten aus, die den Raum einrahmen, potenzielle Opfer auf der Tanzfläche aus und geht dann in den Nahkampf über. Immer und immer wieder. Von einer Abfuhr lässt sich ein Australier die Laune nicht verderben – erst recht nicht im Urlaub.

Vier Tage später: Vor dem Hostel am Helmholtzplatz trifft man zufällig Marc wieder, einen unscheinbaren Australier mit schütterem Haar. Außer ihm seien nur noch sein Landsmann Brook und dessen Kumpel Nick da. „So ist das“, sagt er ohne Bedauern. „Man hat zusammen eine gute Zeit und dann geht jeder wieder seiner Wege.“