„13 Jahre bleibe ich nicht“

Der neue ARD-Chefredakteur Thomas Baumann über geerbte Baustellen, Quotendruck, seinen Freund Günther Jauch und die Vorfreude auf den neuen „Tagesthemen“-Moderator Tom Buhrow

INTERVIEW HANNAH PILARCZYK

taz: Herr Baumann, Sie wollen stärkere Qualitätskontrollen bei den Dokumentationen und wollen die Nachrichtensendungen verständlicher gestalten. Außerdem schwächelt die Quote vieler Politmagazine, und mit dem Ausstieg von Sabine Christiansen wechselt die Moderation Ihres erfolgreichsten Polittalks. Täuscht der Eindruck oder sind die Bereiche Politik und Gesellschaft, für die Sie neben der Kultur zuständig sind, tatsächlich eine einzige Baustelle bei der ARD?

Thomas Baumann: Tatsächlich gibt es viel zu tun, aber das heißt nicht, dass mein Vorgänger oder andere Verantwortliche schlechte Arbeit geleistet haben. Politische Information ist immer so komplex, dass Sie als Journalist permanent überlegen müssen, wie Sie die Berichterstattung optimieren können. Was zum Beispiel die Dokumentationen angeht, müssen wir einfach gucken, wie wir sie auf ihrem Sendeplatz robuster gegen die Konkurrenz machen können – vor allem, wenn wir nach der Sommerpause wieder gegen ein schwieriges Umfeld wie „Wer wird Millionär?“ senden.

Nun, das hat sich ja vielleicht mit der Anwerbung von Günther Jauch als Nachfolger von Sabine Christiansen erledigt.

Ich kann nichts dazu sagen, ob Herr Jauch die Moderation anderer Sendungen aufgeben wird, wenn er von Frau Christiansen übernimmt.

Zu den Eigenheiten der ARD gehört, dass Sie zwar für den Bereich Politik und Information zuständig sind, aber nicht für Christiansens Polittalk, weil er dem Bereich Unterhaltung zugeschlagen wird – angeblich, um ihn dem Einfluss der ARD-Intendanten zu entziehen, die bei Ihren Bereichen mitwirken. Wird das so bleiben?

Was die Zuordnung angeht, ist noch nichts entschieden. Ich gehe aber davon aus, dass dies so bleibt.

Warum? Das ist doch für Sie als politischen Journalisten eine der interessantesten Sendungen in der ARD überhaupt.

Richtig, aber im Rückblick auf die vergangenen Jahre kann man nicht behaupten, dass sich das Modell so nicht bewährt hätte. Da werde ich nicht sofort anfangen, in fremden Revieren zu wildern. Aber gehen Sie bitte davon aus, dass ich als Chefredakteur – auch wenn die Sendung, die Herr Jauch irgendwann produzieren wird, nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fällt – meine Meinung zu der Sendung sagen werde. Allein schon, weil mich mit Günther Jauch ein nahes, ja freundschaftliches Verhältnis verbindet, sollte das kein Problem sein.

Zurück zu den Dokumentationen: Wie wollen Sie erreichen, dass diese „robuster“ werden?

Zum einen haben wir eine vierköpfige Arbeitsgruppe eingesetzt, die bei der Auswahl noch härter prüft, ob die Themen auch wirklich die Lebenswirklichkeit des Publikums treffen. Zum anderen wollen wir bei der Abnahme der Filme noch stärker kontrollieren, dass die Standards der Arbeitsgruppen eingehalten wurden und ob die Filme das einhalten, was die Exposés versprochen haben. Den Spielraum halte ich in diesem Bereich für so groß, dass wir da in der Tat vieles besser machen können.

„Erfolgreicher“ heißt bei der ARD in diesem Zusammenhang doch vor allem bessere Quote, genauer: möglichst im zweistelligen Bereich.

Ja, wir wollen möglichst in die Nähe von 10 Prozent Marktanteil kommen. Irgendwo muss man ja Maßstäbe setzen, mit denen man Erfolg messen kann. Die Dokumentationen waren schon mal erfolgreicher beim Publikum und sollen das nun wieder werden.

Sie haben es sich auch zum Ziel gemacht, „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ verständlicher zu machen. Warum sehen Sie dort Handlungsbedarf?

Schauen Sie sich etwa den Bereich Gesundheitspolitik an. Da können Sie auf die Straße gehen und die Leute bitten, das Modell des Gesundheitsfonds zu erklären. Das werden die meisten nicht können – nicht, weil sie dumm sind. Sondern weil es bei so komplexen Sachverhalten immer wieder den Bedarf gibt, sie noch stärker und noch besser, durchaus auch mit Redundanzen, zu erklären. Wenn da zum Beispiel ein „Tagesschau“-Beitrag statt 1.30 Minuten 10, 20 Sekunden länger ist, dann macht das einen großen Unterschied. Da kann man genau die zusätzlichen Erklärsätze unterbringen, deren es meines Erachtens von Fall zu Fall noch bedarf.

Als die ARD im vergangenen Jahr beschloss, die „Tagesthemen“ vorzuziehen und die Politmagazine zu kürzen, warf Ihnen der Programmdirektor des ZDF „Kampfprogrammierung“ vor. Gibt es Pläne seitens der ARD, ihr Sendeschema weiter zu verändern?

Das wird von Fall zu Fall entschieden. Eines ist aber klar: Ich suche nicht den Konflikt mit dem ZDF, indem wir bestimmte Themen oder Sendungen gegen das Zweite setzen. Es kann aber Situationen geben, in denen wir parallel berichten oder übertragen. Vor allem bei der politischen Berichterstattung hat sich gezeigt, dass, wenn die Öffentlich-Rechtlichen parallel übertragen, die ARD in der Regel bei den Zuschauerzahlen vorn liegt.

Im September steht ein weiterer wichtiger Personalwechsel bei der ARD an: Tom Buhrow übernimmt von Uli Wickert die Moderation der „Tagesthemen“. Was erwarten Sie von Buhrow?

Es gibt nichts in den kommenden Monaten, worauf ich mich so sehr freue wie auf den Antritt von Tom Buhrow. Er hat eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe und kann sehr präzise formulieren, ohne gestelzt zu wirken. Bei ihm schwingt außerdem jenes Maß an Ironie mit, das innerhalb eines Nachrichtenmagazins noch zulässig ist. Im Duo mit Anne Will haben wir dann die stärkste Aufstellung bei der Moderation von Nachrichtensendungen. Das wird den „Tagesthemen“ bestimmt noch mal einen Schub geben.

Als Kommentator waren Sie selbst häufig in den „Tagesthemen“ vertreten. Werden Sie auch weiterhin kommentieren?

Ja, aber bestimmt nicht in der Intensität wie früher. Als Chefredakteur muss man einfach mehr Überblick haben und kann sich nicht auf einzelne Themen spezialisieren. Und bei den Kommentaren sollten doch vor allem die Spezialisten zum Zug kommen.

Eine schwierige Umstellung für einen wie Sie, der als detailverliebter Workaholic gilt?

In Maßen. Weil ich weiß, dass ich irgendwann wieder ins produzierende Gewerbe zurückwechseln werde – 13 Jahre, so lang wie mein Vorgänger von der Tann, werde ich den Job als Chefredakteur sicherlich nicht machen.