Meine Stadt, mein Leben

Ob Gropiuslerchen oder Westbam: Berlin wird gefeiert. In der Musikvideo-Compilation „Berlinvisionen“ (Brotfabrik) arbeitet Pop dem Stadtmarketing aufs schönste zu

1980 hängen Ideal in neonlichtbeschienenen Imbissen herum und stehen auf Berlin. Dann kommen die bocksbeinigen Neubauten und kloppen mit Pflasterstein und Chemikerbrille ihren aseptischen Aufstand in ästhetisch bröckelnde Fabrikhallen. Als die Mauer fällt, lassen die Gropiuslerchen Walter Momper „Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt“ rappen. Sido ist 13 Jahre später immerhin noch der glücklichste Mann auf Welt, zwischen Junkies und Dealern, in seinem Block. Musik, Musikvideos und Berlin: eine ewig frohe Langzeitbeziehung?

Welche Rolle die Stadt in 25 Jahren Clipgeschichte gespielt hat, das fragt sich das Programm „Berlinvisionen“, das an zwei Abenden in der Brotfabrik läuft. Zwangsläufig fragt man weiter: Gibt es einen spezifisch popkulturellen Blick auf die Stadt? Kucken Musiker und ihre Artdirectors anders auf Berlin als Touristen oder die Leute vom Stadtmarketing? Mit Ausnahme des DDR-Super-8-Undergroundfilms der späten Achtziger lautet die etwas ernüchternde Antwort: kaum.

Dieser „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“-Chic der frühen Achtziger im Westen, diese gekachelte Insel-der-Seligenhafte war immer schon Bekenntnis zur Stadt. Mehr erwarteten auch Politiker nicht von den Bürgern. Und wenn Kriegsdienstverweigerer just hier König von Deutschland werden wollten – nur gut. Rio Reiser macht 1986 vorm Bethanien nichts anderes als Sido 2003 vor den Hochhäusern im Märkischen Viertel. Er erhebt bunt besprayte Häuserwände zum Indiz der lebenswerten Stadt – und beschwört im Abspann seine „Heimatadresse“: „Am äußeren Ende eines Spiralnebels, genannt Milchstraße, im System Sonne, Planet Erde, Kontinent Europa, im westlichen Teil einer Stadt namens Berlin, im Bezirk 36, Kreuzberg“. Bei Sido ist es dann halt seine Stadt, sein Kiez, seine Straße, sein Block und sein Leben zwischen erstem und sechzehntem Stock.

Distanz zur Stadt und zum Leben darin – man findet sie nur bei den Ostberliner Bands Ende der Achtziger. Die Band Pankow laviert zwischen Aufruhr-Aufruf und Westfetisch-Diss an der Zensur vorbei, Silly trauen sich 1989 schon Expliziteres und lassen brennende Schiffe auf der Spree untergehen. Ein herrlich wahnsinniges Bild der DDR-Degeneration zeichnet Ramona Koeppel in „Konrad! Sprach die Frau Mama“ – mit scheußlich greinenden Kleinkindern, Müttern auf zerrütteten Bürgersteigen und todgeweihten, schwitzenden Eisbären im Tiergarten.

Mit der Wende sind solche „anderen“ Blicke auf die Stadt im Musikvideo endgültig vorbei. Das „Völker der Welt – schaut auf diese Stadt“-Propagandafilmchen der Gropiuslerchen zimmert aus Genscher, Brandt, Kennedy und Reuter eine lustige Stadtidentität und mag noch der Mauerspringer-Euphorie zuzuschreiben sein. 1997 feiern Westbam und Dr. Motte dann aber ganz im Sinne der offiziellen „Partner für Berlin“-Kampagne eine Postkarten-Love-Parade. Und Atari Teenage Riot produzieren sich 1999 zwar als neue Revoluzzer – Alec Empire brüllt so häufig „Fuck the police“, bis er endlich in eine Wanne verfrachtet wird –, inszenieren Berlin aber gerade darin in einer Rolle, aus der es seitdem nicht mehr herausgefunden hat: als herrlichen Erlebnispark mit warmen Sommern und supidupi vielen crazy people.

Höhepunkt dieser Inszenierung im „Berlinvisionen“-Programm ist Seeeds „Dickes B“, das jederzeit zu tourismuspromotionalen Zwecken eingesetzt werden kann: Gut gekleidete Menschen intonieren einen partykompatiblen Multikulti-Sound und hoppeln vor der Kulisse urbaner Wohlfühlkultur herum: Warschauer Brücke mit pompösem Weitblick, U-1-Hochbahn, Alex, Potsdamer Platz bei Nacht, Graffiti auf Mauerresten, Wochenmarkt am Kreuzberger Kanal, Häuserdächer mit Fernsehturm-View, Clubs. All das gehört bildpolitisch doch wirklich längst auf eine rote Liste. So interessant die anderthalb Stunden „Berlinvisionen“ sind, man sehnt sich danach nach frischen, weniger abgegriffenen Berlin-Signifikanten im Pop. Diese Stadt kann doch zu mehr anregen als zu dem ständigen Hier-gehör-ich-hin-und-das-ist-gut-so-Quatsch. KIRSTEN RIESSELMANN

„Weird Videos“ in der Brotfabrik: 27. und 31. 7. „Berlinvisionen“; 28. 7. und 1. 8. „Politische Subversion“; 30. 7. und 2. 8. „Atomangst“; alle jeweils 22 Uhr