Darauf freuen wir uns schon jetzt!

BERLINALE Es ist wieder so weit: Das größte Filmfestival der Stadt bietet sehr viel Programm und ziemlich wenig Überblick. Die persönlichen Tipps unserer Filmexperten helfen vorab bei der Orientierung

„Huba“ von Anka und Wilhelm Sasnal

„Huba (Parasite)“ hat eine fast unerträgliche Intensität, eine Haptik, die überwältigt – die schmerzt, klebt, zehrt, zerrt. Es geht um den Menschen als Körper. Was er gibt, was er nimmt. Der ,reale‘ Kontext für den Film ist das Ende eines (Arbeits-)Lebens im Polen von heute, raus aus der Fabrik sozusagen, weil der Körper ausgedient hat. Dagegen steht eine Geburt, und ein Mutterkörper. Auch wenn das dunkel, tief, schwierig ist, der Alltag mit diesen Körpern, so billigen Anka und Wilhelm Sasnal (übrigens ein ziemlich bekannter Maler) doch diesem Leben eine Sensibilität zu, die noch viel überwältigender ist als alles Schwere. (CinemaxX 4, 12. 2., 19.30 Uhr, Colosseum 1, 13. 2., 20 Uhr, Delphi, 14. 2., 19.30 Uhr, Arsenal 1, 15. 2., 12.30 Uhr)

BARBARA WURM

Retrospektive „Aesthetics of Shadow“

Vorfreude auf echtes Kino in der Retro, auf 35mm. Was als Medium lange nicht zur Debatte stand, da es wesentlicher Bestandteil des Kinos war, ist nach der Digitalisierung des Kinobetriebs eine Sache gesonderter Zuwendung. Auch, weil es eine letzte Möglichkeit ist, das ursprüngliche Kinomedium noch einmal bewusst, materialgerecht in seiner Pracht zu erleben, mit allen Vor- und Nachteilen. Ob Licht digital auf die Leinwand gespiegelt wird oder durch einen Filmstreifen geht, macht einen Unterschied. Die Retrospektive zur Ästhetik der Schatten ist heute auch eine über durchleuchtetes Material. (CinemaxX 8, Zeughauskino, 7.–16. 2.)

THOMAS GROH

Dominik Grafs „Die gelieben Schwestern“

Vorfreude wird oft schal, wenn sie zu lange durchhalten muss. Mit Dominik Grafs schon im Dezember angekündigten Wettbewerbsfilm „Die geliebten Schwestern“ geht es mir anders: Ich kann es immer noch mit jedem Tag weniger erwarten, zu erleben, was Graf mit Friedrich Schiller und dessen beiden verwandten Nebenbuhlerinnen anstellt. Liebesverirrungen im Zentrum der Aufklärung, sommerlich-fluide Blickkaskaden, zwei Schauspielerinnen mit den dazu wunderbar passenden Namen Hannah Herzsprung und Henriette Confurius … Und das alles 170 Minuten lang; nein, diese Vorfreude lasse ich mir nicht so einfach ausreden. (Berlinale Palast, 8. 2., 21.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 9. 2., 10 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 9. 2., 19.30 Uhr, Adria, 10. 2., 17 Uhr)

LUKAS FOERSTER

„Nymph()maniac“ von Lars von Trier

In einer Zeit, in der Internetpornographie allgegenwärtig ist, mag es unzeitgemäß erscheinen, Sexualität als Drama und Exzess in Szene zu setzen. Doch Lars von Trier ist ein Regisseur, den das Zeitgemäße gleichgültig lässt. Er hält sich lieber an Bataille und de Sade als an das fröhliche Anything Goes von YouPorn. Sein jüngster, in zwei Teile geteilter Film „Nymph()maniac“ birgt ein großes Versprechen: Dass sich ein Filmemacher, der auf der Höhe seines Könnens ist, ernsthaft und ausgiebig damit beschäftigt, welche Freuden eine Frau erlebt, deren Hunger nach Sex kein Maß kennt. Aber auch: in welche Not sie deshalb gerät. Die fabelhafte Charlotte Gainsbourg unterstützt ihn bei dieser Tour de Force durch Promiskuität und Schuldgefühl, Verführungskunst und Selbsthass. In Dänemark, Frankreich und anderswo sind beide Teile von “Nymph()maniac“ – jeweils in der kurzen, nicht ganz so expliziten Fassung – schon in den Kinos. Wie schön, dass die Berlinale nun die Weltpremiere der ungekürzten, expliziten Fassung des ersten Teils präsentiert. (Berlinale Palast, 9. 2., 19 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 10. 2., 12 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 10. 2., 21.30 Uhr, Berlinale Palast, 16. 2., 21 Uhr)

CRISTINA NORD

Alain Resnais’ „Aimer, boire et chanter“

Alain Resnais macht schon seit einer Weile jeden Film so, als wäre er sein letzter. Mit bald 92 Jahren darf er das auch. Das Schöne nur: Mit dem Ende in Sicht wird das Werk immer radikaler und unbeschwerter zugleich. Es geht in „Aimer, boire et chanter“ („Lieben, trinken und singen“) um Erinnerung, Leben, Tod – also alles. Klingt nach einer gezielten Variation des fabelhaften Vorgängers „Vous n’avez encore rien vu“, diesmal nach einer Vorlage des Meloboulevarddramatikers Alan Ayckbourn. Weil Resnais immer noch einer der lebendigsten Geister des Weltkinos ist, kann die Vorfreude darauf nur riesengroß sein. (Berlinale Palast, 10. 2., 22 Uhr, Zoo Palast, 11. 2., 13 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 15.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 12. 2., 22 Uhr)

EKKEHARD KNÖRER

„Al doilea joc“ von Corneliu Porumboiu

Ein schöner Rückgriff auf die bleiernen Jahre des europäischen Vereinsfußballs, als Fußballspiele noch eine politische Dimension besaßen, ist die Found Footage-Dokumentation „Al doilea joc“ des rumänischen Filmemachers Corneliu Porumboiu. Die Duelle zwischen Steaua und Dinamo Bukarest waren stets von besonderer Brisanz, da die Vereine der Geheimpolizei Securitate beziehungsweise der Armee nahestanden. Porumbious Film, der auf einem verrauschten Live-Mitschnitt der letzten Begegnung vor der Revolution von 1989 basiert, überzeugt durch konzeptuelle Klarheit: Er beginnt mit dem Anstoß und endet mit dem Schlusspfiff. Dazwischen gewähren Porumboiu und sein Vater als allwissende Kommentatoren Einblicke in die politischen Hintergründe der Begegnung – und den State-of-the-Art der Fußballtheorie. Für Porumboiu hatte das Spiel noch eine persönliche Note, sein Vater leitete die damalige Partie als Schiedsrichter. „Gut gemacht, alter Herr“, sagt er nach dem Abpfiff stolz. (Delphi, 11. 2., 19.15 Uhr, CinemaxX 4, 13. 2., 19.30 Uhr, Arsenal 1, 14. 2., 12.30 Uhr, Cubix 7, 16. 2., 15 Uhr)

ANDREAS BUSCHE