Gut gemeinte Groteske

Berlin, gestern früh: Zehn unbekannte Künstler wickeln sich in Libanon-Flaggen und stellen sich tot – um gegen das Desinteresse der Medien zu demonstrieren. Das allerdings war überraschend hoch

von KERSTIN SPECKNER

Reglos liegt der Körper des jungen Mannes auf den Steinplatten. Nur seine bloßen Füße und ein Unterarm schauen unter dem Tuch hervor, das Körper und Kopf bedeckt. Sein Leichentuch ist eine Libanonfahne, Rot-Weiß-Rot mit Zedernbild in der Mitte, an dem sichtbaren Arm trägt er ein Armband. „Palestine“ steht darauf. Auf dem kleinen Platz und auf dem Gehweg davor liegen weitere neun Menschen, ebenfalls in Zedernflaggen gehüllt.

„Totenstille“ heißt die Aktion von Berliner Künstlern. Sie soll auf die Gewalt im Libanon aufmerksam machen, darauf, dass viele Opfer nicht einmal eine anständige Beerdigung bekommen. Totenstill liegen sie jetzt da, in Leichentücher gehüllt, niemand rührt sich – bis auf die Kamerateams, die zwischen den „Leichen“ umherlaufen, Stative aufbauen, Großaufnahmen von Händen und Füßen der Liegenden machen, Dinge rufen wie „Ich brauch’ hier noch mal eine Totale“ und eindeutig in der Überzahl sind. Es steht 12 zu 10 für die Journalisten.

Genaue Choreografie

Gegenüber liegt das Auswärtige Amt, davor sind einige gelangweilte Polizeibeamte. Wo diese jetzt stehen, sollte eigentlich die Aktion stattfinden, vor der Glasfront, hinter der jetzt das Sicherheitspersonal steht und zu den Liegenden herüberschaut. Dort durften sie nicht. Also wechselten sie die Straßenseite. Eine junge Frau, wie ihre Mitstreiter ganz in Schwarz gekleidet, spricht ihre Choreografie mit den im Schatten wartenden Fernsehteams ab. „Was! Ihr wollt euch hinlegen?“, ruft ein Kameramann mit lila Hemd und Bierbauch überrascht und nimmt den Boden ins Visier der Kamera.

Anfangs noch vom Lärm einer italienischen Touristengruppe übertönt, legt sich dann einer nach dem anderen auf den Boden. Ein schwarz gekleideter Mann bedeckt die Liegenden mit ehrfürchtiger Mine mit den Flaggen. Auf der Straße fahren Autos vorbei, ein paar Radfahrer drehen sich nach den Liegenden um, oder nach den Kamerateams? Die Italiener zücken ihre Fotohandys. Eigentlich sollten hier mehr Menschen auf dem Boden liegen, für jeden Kriegstag ein symbolischer Toter. Doch nicht alle Teilnehmer sind pünktlich erschienen, im Gegensatz zum Großaufgebot von Arte, ARD & Co, die jedes Detail verfolgen.

Libanesische Leichen?

Schließlich wird im Nahen Osten seit 16 Tagen gekämpft. Sich auf die Flaggenaktion zu stürzen, ist für alle Beteiligten eine gute Gelegenheit, einen anderen Aspekt in die Nachrichten zu bringen: Was passiert eigentlich in Deutschland, wie reagieren die Libanesen, die hier leben? Und die Bilder von Großdemos, auf denen sich oft politische Forderungen der Palästinenser und antiisraelische Parolen mischen, sind doch irgendwie austauschbar, auf die Dauer langweilig und zu aggressiv. Jedenfalls sind sie lange nicht so ausdrucksstark wie die Menschen in Leichentüchern – zumindest wenn man es schafft, die zwischen ihnen herumhampelnden Kollegen geschickt auszublenden.

Die Akteure selbst sind von so viel medialer Aufmerksamkeit völlig überfahren. Die meisten von ihnen haben Familienangehörige im Libanon und sind über die dortige Gewalt verzweifelt, auch über die Politik, dass niemand sagt, „das muss sofort aufhören“. Sie alle sind Künstler, manche Maler, Filmemacher oder Bildhauer. Die Aktion mit den Leichentüchern haben sich drei von ihnen ausgedacht, weil sie sich irgendwie hilflos fühlten, irgendetwas tun wollten und sich nicht mit den teilweise aggressiven Parolen auf Demonstrationen identifizieren. Jetzt geben sie Interviews, manchmal mit nervös zitternder Stimme, und verteilen eifrig Flugblätter an Journalisten.

„Die Mauer des Schweigens soll durchbrochen werden“, steht darauf. Eigentlich wollten sie mit ihrer Aktion auch anprangern, dass sich die deutsche Presse nicht für die libanesische Seite des Konflikts interessiert.