CHINA: DER REGIERUNGSKRITIKER FU SOLL SICH SELBST VERLETZT HABEN
: Bande des Schweigens

Hat sich der chinesische Aktivist Fu, der gegenüber einem deutschen Kamerateam den Staudammbau in seiner Heimat kritisierte und dann schwer verletzt im Krankenhaus landete, vielleicht selbst niedergeschlagen? Oder ist so unglücklich gefallen, dass er sich gleich mehrere Halswirbel brach und sein Leben lang gelähmt ist? So vermutet es die örtliche Polizei. Ihr Befund ist grotesk. Und Fu sagt, dass er an jenem Tag hinterrücks überfallen und verprügelt wurde. Heimlich im Krankenzimmer aufgenommene Fotos zeigen ihn übel zugerichtet.

Seit über zehn Jahren fällt Fu Xiancai den Behörden schon auf die Nerven. Weil er glaubt, dass Entschädigungsgelder für die Anwohner des Drei-Schluchten-Staudamms in den Taschen örtlicher Funktionäre kleben blieb, hat er sich mit Nachbarn zusammengetan. Er hat sich Gesetzestexte besorgt, Paragrafen studiert – die offizielle Politik auf seiner Seite: Anders als zu Zeiten Maos, der von Klassenkampf und Revolution tönte, behauptet die KP-Regierung heute, sie herrsche auf der Grundlage von „Recht und Tugend“. Sie erlässt neue Gesetze, dieser Tage gerade eines, das Folter verbietet.

Wie Fu wollen immer mehr Chinesen die KP beim Wort nehmen. Aber sie finden keine Gerechtigkeit. Es gibt keine unabhängige Polizei und keine unabhängigen Gerichte. Polizisten, Ermittler, Richter müssen auf die KP-Bosse und Bürgermeister hören, die sie anstellen, bezahlen und befördern. Die KP lehnt unabhängige Gerichte ab. Und wo Dorfchefs, Unternehmer und Provinzfürsten oft mit Mafiamethoden herrschen, wirkt die Behauptung der Polizei, sie habe keine Spuren eines Kampfes gefunden, besonders unglaubwürdig.

Viele Bürgerrechtler, Rechtsanwälte und andere kritische Geister sitzen derzeit in Haft, im Hausarrest oder unter strenger Beschattung – und die Regierung in Peking rührt keinen Finger für sie. Die Aufmerksamkeit des Auslands hat Fu bislang dazu verholfen, dass er nicht aus dem Krankenhaus geworfen wurde. Nur wenn Peking es für opportun hält, Fu darüber hinaus zu seinem Recht zu verhelfen, gibt es eine Chance auf Aufklärung des Falles. Bislang ist davon nichts zu sehen. JUTTA LIETSCH