Bund haftet für Bodensee-Unfall

Landgericht Konstanz: Nicht die Schweiz, sondern Deutschland muss für die Kosten des Flugzeugabsturzes 2002 aufkommen – es gab keinen Staatsvertrag zur Flugsicherung

FREIBURG taz ■ Ein Schweizer Unternehmen hat geschlampt, aber Deutschland muss für den Schaden aufkommen. Gestern entschied das Landgericht Konstanz, dass die Bundesrepublik zunächst allein für die Folgen eines Flugzeugabsturzes bei Überlingen am Bodensee haftet. Die Schweizer Flugsicherung hatte den Absturz aber verursacht.

Im Juli 2002 war ein Passagierflugzeug aus der russischen Teilrepublik Baschkirien mit einem Frachtflugzeug der Post-Tochter DHL zusammengestoßen. Es starben die beiden DHL-Piloten sowie 71 Passagiere des russischen Fliegers, darunter 52 Kinder. Schuld an dem Unglück war nach Ansicht der Richter die falsche Anweisung eines überforderten Schweizer Fluglotsen. Der Mann musste allein Nachtschicht leisten und dabei zwei Radarschirme überwachen. Warngeräte waren aus Wartungsgründen abgeschaltet.

Zwar arbeitete der Fluglotse für die Schweizer Flugsicherung Skyguide, doch im Wege der Amtshaftung muss nun der deutsche Staat für die Fehler einstehen. Die Flugsicherung gilt als hoheitliche Aufgabe und hätte nur aufgrund eines Staatsvertrags auf ein Schweizer Unternehmen übertragen werden können. Stattdessen existierten seit dem Zweiten Weltkrieg nur informelle Abmachungen mit Skyguide. Erst vor wenigen Jahren verhandelte die Bundesregierung mit der Schweiz über einen Staatsvertrag, der jedoch im Streit über Fluglärmfragen nie zustande kam.

Die Bundesregierung wollte gestern dieses Urteil nicht kommentieren. Vermutlich wird sie Rechtsmittel einlegen. Wenn sie auch in oberen Instanzen scheitert, wird sie wohl versuchen, bei Skyguide Rückgriff zu nehmen. Da die Firma nicht pleite ist und dem Schweizer Staat gehört, dürfte dies wohl auch erfolgreich sein. Auch der geplatzte Staatsvertrag sah nach Medienangaben vor, dass zunächst die Bundesrepublik nach außen haftet und bei Fehlern der Schweizer dort Rückgriff nehmen kann.

Wie viel die Bundesrepublik zahlen muss, ließ das Konstanzer Landgericht zunächst offen. Erst soll rechtskräftig geklärt werden, ob überhaupt eine Zahlungspflicht besteht. Die Bashkirian Airlines forderte Schadensersatz für ihr abgestürztes Flugzeug und die Freistellung von Schadensersatzansprüchen der Opfer. In Konstanz ist auch noch eine Klage der DHL gegen Deutschland anhängig.

Die Opfer des Absturzes werden aus einem Entschädigungsfonds entschädigt, den Skyguide, Deutschland und die Schweiz im Juni 2003 vereinbart haben. Über die Höhe der Entschädigung wurde Stillschweigen vereinbart. Der Fluglotse wurde im Februar 2004 von einem Angehörigen der Opfer erstochen.

CHRISTIAN RATH