Der gewisse Kniff

Das Landesmuseum Oldenburg zeigt eine Werkschau der preisgekrönten Keramikerin Karin Bablok. Ein Werkstattbesuch

von REINHARD KRAUSE

Die ehemalige Dorfschule liegt gleich hinter dem Deich, janz weit draußen vor Hamburg, fast schon in Niedersachsen. Die Elbe kann man von hier aus zwar nicht sehen, wohl aber die Wiesen der Vier- und Marschlande. Ein Idyll mit Durchgangsverkehr. Vielleicht ein bisschen einsam, wenn man es, wie Karin Bablok, gewöhnt ist, in einer Werkstattgemeinschaft mit anderen Keramikern zu arbeiten. Einstweilen aber genießt die 42-Jährige den Komfort ihres frisch bezogenen, neuen Ateliers. Es ist Ende Mai, der kalte Frühling wird erst ein paar Tage später sein abruptes Ende finden, und was spricht dagegen, für die Dauer einer Kanne Tee mal eben kurz die Heizung einzuschalten.

Genau das nämlich konnte Karin Bablok, eine der höchstdekorierten Keramikerinnen ihrer Generation, in den vergangenen acht Jahren nie. Das Alte Pumpwerk in Bremen, in dem sie ihre Werkstatt betrieb, hatte eine Deckenhöhe von sieben Metern. Heizen sinnlos. Gebrannt wurde in einem Ofen vor der Werkstatt; die empfindlichen Werkstücke mussten bei Wind und Wetter quer über den Hof getragen werden. Widrige Zustände, von denen Babloks hochfeine Porzellane nichts ahnen lassen. Die Keramikerin selbst übrigens auch nicht; sie macht einen ähnlich aufgeräumten Eindruck wie ihre Keramiken. Schwierigkeiten sind Herausforderungen: „Wenn ich eine Probeserie beginne“, erklärt sie und wirkt dabei erfrischend unzerknirscht, „stelle ich bis zu zehn unterschiedliche Varianten her – und am Ende überstehen vielleicht zwei von ihnen den Brand.“ Exzellente Keramiker müssen Stehaufqualitäten haben.

Dass man mit „Blau machen“ tausend Euro gewinnen kann, dürfte ziemlich einmalig sein. Doch genau das war im vergangenen Jahr das vorgegebene Thema für den „Keramikpreis des Oldenburger Töpfermarktes“. Der immer am ersten August-Wochenende stattfindende Markt hat sich zur ersten Adresse für Studiokeramik im Norden entwickelt. Der Wettbewerb um den Keramikpreis spornt Teilnehmer wie Publikum zusätzlich an: Wer macht das Rennen? Nur der Markt in Diessen am bayerischen Ammersee steht im Ruf, noch besser, noch schöner zu sein – wegen des Seepanoramas.

Eine Töpferin hatte das mit dem Blaumachen tatsächlich wörtlich genommen. Statt wie die meisten Kollegen eine Keramik mit irgendwie blauer Glasur einzureichen, hatte sie einfach ihre Arbeitsschürze auf einen Bogen Karton fallen lassen – fertig. Dieser Mut fand die Sympathie von Jury und Publikum. Gewonnen hat jedoch Karin Bablok, und die hatte bis zur sprichwörtlich letzten Minute an ihrem Beitrag gearbeitet, hatte auf Umsatz gepfiffen und ihren Stand auf dem Oldenburger Schlossplatz vorzeitig verlassen, um auf den letzten Drücker noch ihren Wettbewerbsbeitrag zu brennen.

Ihren hervorragenden Ruf verdankt Karin Bablok ihren eleganten Porzellangefäßen mit mal strichschmalem, mal großflächig geometrischem Dekor aus braunschwarzer Basaltglasur. Für Oldenburg hatte sie sich einen besonderen Clou einfallen lassen: Ein Gefäß aus ihrer Vierergruppe hoher Vasen trug einen strahlend blauen Dekor. „Blau machen“ als absolute Ausnahme von der Regel – eine sehr zeitgemäße Interpretation des Wettbewerbsthemas. Und, nebenbei bemerkt: vier exquisite Keramiken.

Womit bei der Preisvergabe allerdings nicht zu rechnen war: Die Auszeichnung sollte noch viel mehr Arbeit nach sich ziehen. Denn erstmals in der Geschichte des Töpfermarkts zeigt das Landesmuseum Oldenburg in diesem Jahr parallel zum Markt nicht nur die Wettbewerbsbeiträge zum Keramikpreis, sondern auch eine Werkschau der Vorjahressiegerin. 150 Quadratmeter mit Keramiken zu bestücken, zehn Vitrinen und zehn Sockel – für wirkliches Blaumachen bleibt da keine Zeit.

Im ehemaligen Lehrerzimmer der Dorfschule demonstriert die Keramikerin ihre neuesten Arbeiten in den verschiedenen Stadien der Verarbeitung: als gerade erst gedrehte schlichte Zylinder oder als bereits in „lederhart“ getrocknetem Zustand; schon durch Beklopfen oder durch Zerschneiden und Neumontage aus der drehtechnisch bedingten achsensymmetrischen Form gebracht; oder als vorgebrannte, „geschrühte“ Werkstücke mit und ohne Glasur. Im Flur der Schule dann die fertigen Exponate: kühle, spannungsvolle Gefäße mit einem bisweilen wie eine Metalllegierung aufliegenden Dekor, für den der unglasierte Porzellanscherben einen exzellenten dreidimensionalen Malgrund abgibt.

Überhaupt: Dreidimensionalität! Ein großes Thema. Bei Karin Bablok nämlich sind Innen- und Außenseite häufig vollkommen gleichberechtigt. Ein klarer Bruch mit der „klassischen“ deutschen Gefäßkeramik der Nachkriegszeit, als sich fast alles um eine spannungsvolle Umrisskontur drehte und die Keramiker Gefäße mit engen und immer engeren Hälsen drehten. Dadurch produzierten sie etwas, was man nicht länger schnöde als „Blumenvase“ bezeichnen konnte, sondern auch als „angewandte Kunst“. Die Glasur übernahm dabei die Aufgabe, als „Kleid“ die Volumina zu akzentuieren. Bei Bablok gibt es nur den weißen Porzellanscherben und die bräunlich schwarze Basaltglasur. Mehr nicht. Langweilig? Keine Spur. Schlanke Formen bringt sie durch Kniffe und Kanten aus der Achsensymmetrie, weite Formen haben fast ausnahmslos eine lotrechte Wandung, durch das spannungsvolle Wechselspiel von Innen- und Außendekor schafft die Keramikerin jedoch vielfältige Korrelationen zwischen vorn und hinten, innen und außen, Rundung und Kniff, Dekor und Scherben, Fläche und Strich.

Die Begeisterung, mit der Karin Bablok verschiedene Perspektiven ihrer Objekte vorführt, ist ansteckend. Idealerweise müssten diese Stücke eigentlich auf einer rotierenden Scheibe ausgestellt werden. Was auch anspielungsreich wäre; schließlich haben sie alle – auch wenn man es meist nicht sofort sieht – auf der Drehscheibe ihren Anfang genommen. Natürlich könnte man die senkrechten Wandungen und die Böden auch einfach wie einen Teig ausrollen. „Aber ich ziehe das Drehen vor“, erläutert die Keramikerin. „Sonst hätte die Form nicht die nötige Spannung. Außerdem beleben die Drehrillen den Hintergrund der Malerei.“

Dass Porzellan noch feiner sein kann, hat Karin Bablok vor zwei Jahren bei einem Studienaufenthalt im japanischen Seto erfahren. Das dort benutzte Porzellan ist sozusagen noch weißer als weiß, denn es lässt Licht besonders gut durchscheinen. Per Containerfracht ließ sie sich von dort eine Tonne Rohmasse nach Hamburg schicken. Die allerdings erweist sich in der Verarbeitung als noch tückischer als das ohnehin schwer zu beherrschende Limoges-Porzellan, das hierzulande benutzt wird. „Große Stücke“, gibt Bablok unumwunden zu, „gelingen mir damit bislang noch nicht.“ Dass sie es weiter versuchen wird, dafür sprechen die wunderbar geglückten kleineren Gefäße, etwa eine mehrfach gekniffte Bechervase, deren Scherben so dünn ist, dass man im Sonnenlicht tatsächlich auch die Bemalung auf der abgewandten Seite wahrnimmt. Ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten!

Nach den „einfachen“ Volumina, bei denen es nur ein Außen und ein Innen, einen Boden und eine Wand gibt, ist Karin Bablok seit kurzem auch zu komplexeren Formen übergegangen, bei denen eine Zwischenwand den Korpus zusätzlich gliedert. „Und da hinten“, sagt sie und zeigt auf ein Bord, „habe ich noch etwas ganz Neues versucht, eine schräge Außenwand.“ Tatsächlich: Fertig für den Glattbrand steht da eine Art Hausmodell aus Porzellan, das auf einer Seite eine Art Außentreppe trägt. „Keine Ahnung, ob das den Brand überstehen wird“, verrät sie, unerschrocken wie je.

Kein Wunder, dass viele Architekten zu Babloks Sammlern zählen. Vor ein paar Jahren ließ sich die Keramikerin – übrigens auch aus einer Wettbewerbsaufgabe heraus – von Stadtplänen und Gebäudegrundrissen zu Formen und Dekoren inspirieren. Dass diese seltsam abstrakten Modelle vom Publikum nicht immer konkreten Vorlagen zugeordnet wurden, stört deren Schöpferin überhaupt nicht. Rätselhaft schön finden kann man die Gebilde auch ganz unmittelbar, ohne den Intellekt (oder einen Stadtplan) zu bemühen.

Gewissermaßen als Ausgleich zu den penibel konzipierten Gefäßen pflegt Karin Bablok die spontane, gestische Bemalung, ob es sich nun um „Vasen“ handelt, Teller oder Becher. Die Lust am intuitiven Malen wird oft unterstützt durch ebenso „kindlich“ wirkendes Ritzen. Das Herstellen von Alltagsgeschirr hingegen beschränkt die Keramikerin inzwischen auf schlanke Becher. Aus einem ganz unideologischen Grund: „Halbe Sachen machen kann ich einfach nicht – ob ich nun eine große Vase drehe oder eine Müslischale. Nur stehen der Aufwand und ein realistischer Preis für eine Müslischale am Ende in keinem guten Verhältnis.“

In Oldenburg dürfte das aber kein Problem sein. Denn noch etwas hat die Erfahrung Karin Bablok gelehrt: „In Süddeutschland ist vor allem anwendungsbezogene Keramik gefragt. Aber meine Sammler leben fast alle im Norden.“ Dass sie selbst in Donauwörth geboren wurde, was spielt das für eine Rolle. Karin Bablok, die Unkomplizierte. Eigentlich schade, dass sie wegen ihrer Einzelausstellung in Oldenburg nicht am diesjährigen Wettbewerb teilnimmt. Der Arbeitsauftrag lautet diesmal: „Durch dick und dünn“.

„Karin Bablok – Porzellanunikate“. Landesmuseum Oldenburg, tägl. außer Mo., noch bis 20. August. Der Oldenburger Töpfermarkt findet am 5. und 6. August auf dem Schlossplatz statt REINHARD KRAUSE, 44, ist taz.mag-Redakteur