Sexistische Werbung verbieten?

Eingriff Politiker im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wollen diskriminierende Plakate untersagen

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JA

Pascal Striebel, 27, ist Grünen-Politiker im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg

Auf Werbetafeln im öffentlichen Raum begegnen uns klassische Rollenklischees: Der durchtrainierte Mann beim Autoschrauben, die schlanke, langhaarige Frau bei eigentlich egal was. Erfrischend realistisch wäre es, eine Patchworkfamilie, ein homosexuelles Paar oder ein lebensechtes Model zu zeigen. Schön wär’s. Wir haben nichts gegen Unterwäschewerbung. Sexistisch ist Werbung für uns, wenn weibliche oder männliche Körper ohne inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt dargestellt werden. Wir wollen wenigstens auf den bezirkseigenen Werbeflächen Platz schaffen für die bunte Vielfalt, die unseren Bezirk prägt. Diskriminierende, menschenfeindliche oder sexistische Werbung schadet. Eine Selbstkontrolle, die nur die ganz krassen Fälle rügt – und das auch erst, wenn die Kampagne längst vorbei ist –, reicht nicht aus. In Städten wie Ulm, Bremen oder Marburg hat man das längst eingesehen und das Verbot umgesetzt.

Maria Wersig, 35, ist Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Juristinnenbundes

Sexistische Stereotype sind in der Werbebranche beliebt und trotz des gesellschaftlichen Wandels nicht auf dem Rückzug. Jedes noch so dumme Produkt scheint aufwertbar durch eine zusammenhanglos auf dem Plakat herumstehende nackte Frau. Tiefpunkte wie die „Axe“-Werbung werden diskutiert, aber es ändert sich nichts. Der Deutsche Werberat als Gremium der Selbstkontrolle ist so wirksam wie die freiwillige Frauenförderung in der Privatwirtschaft. Kann der Staat bei der Werbung eingreifen? Natürlich. Was im öffentlichen Raum akzeptiert wird, ist Gegenstand demokratischer Aushandlungsprozesse. Das Vorhaben des Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain, auf sexistische, diskriminierende und frauenfeindliche Plakatwerbung zu verzichten, dürfte die Praxis zwar nicht revolutionieren. Als Regulierungsversuch wird es die Debatte über die Grenzen des Akzeptablen aber weiter fördern.

Roland Schindzielorz, 61, ist Geschäftsführer von Radio Arabella in München

Radio Arabella wirbt in diesem Jahr mit einem ästhetischen, nackten Frauenkörper, dessen Brust durch eine Männerhand abgedeckt wird. Das Plakat steht für Wohlbefinden, welches wir unseren Hörern vermitteln. Wir erhielten viele Zuschriften, die uns zeigen, dass körpernahe Darstellungen, wie respektvoll sie auch sein mögen, in jedem Menschen andere Emotionen auslösen. Sexismus sollte jedoch nicht in Verbindung mit einer ästhetisch gestalteten Werbung gebracht werden. Sexismus wird rund um die Uhr verbreitet und ist leider bis zu einem gewissen Grad salonfähig geworden. Wir befürworten ein Verbot von sexistischer Werbung – aber bitte mit klaren Vorgaben. Wir hoffen, dass vor übertriebenen Maßregelungen Halt gemacht wird: Intimität JA – Sexismus NEIN!

Lukas Zeidler, 17, ist Blogger ( serioesernoergeln.funpic.de ) und taz-Leser

„Just a little bit“, singt Aretha Franklin. Darum geht es doch, um ein wenig mehr Respekt. In der Werbung geht es aber um Profit. Wir müssen sensibler gegenüber Sexismus werden, öfter mal die Dinge kritisch hinterfragen. Typisch männliche Werbung überbringt auch ein typisches Männerbild. Sexistische Werbung muss strenger kontrolliert werden. Leider wird sie nur in extremen Fällen verboten. Ruhig mal öfter den Roststift ansetzen bitte. Sensiblere Werbung ist die Basis für eine sensiblere Gesellschaft.

NEIN

Micaela Schäfer, 30, ist Fotomodel und hat in TV-Sendungen gerne wenig an

Ein Verbot ist ein zu schwerer Eingriff in die Meinungsfreiheit. Man wird immer wieder darüber reden müssen, was erlaubt ist und wo die Grenzen des guten Geschmacks sind. Es gibt erfrischende Motive, die in tristen Februartagen Frohsinn und Herzenswärme verbreiten. Solche Bilder motivieren auch den ein oder anderen, die Abende im Bett statt im Fernsehsessel zu verbringen und etwas gegen die geringe Geburtenrate und das langweilige Sexleben zu unternehmen. Ein pauschales Verbot von sexistischer Außenwerbung lehne ich ab. Ich schlage jedoch vor: keine leichtbekleideten Frauen in der Nähe von stark frequentierten Straßen, da die Ablenkung zu Unfällen führen kann.

Walter Hasenclever, 36, ist Pressesprecher der Berliner Erotikmesse Venus

Sexistische Werbung kann und sollte man nicht verbieten. Nach welchen Maßstäben will man Sexismus beurteilen? Das unterliegt subjektiven Kriterien. Für Frau Schwarzer mag schon ein Plakat mit einem Unterwäschemodel sexistisch sein. Für das Unterwäschemodel selbst ist es sein Beruf. Wäre es nicht sexuell diskriminierend, Frauen dieses Recht zu untersagen? Frauen gehen immer (selbst)bewusster mit ihrer Sexualität um, und die ist nicht immer gleich, sondern bunt und vielfältig. Blinde Zensur nackter Haut wäre nicht förderlich. Sie würde unsere Welt nur grauer machen.

Doreen Schink, 35, ist Leiterin Unternehmenskommunikation der Beate Uhse AG

Ein Verbot wäre absolut sinnlos. Die Debatten zeigen, dass die Definition von Sexismus dem ganz eigenen Empfinden unterliegt. Was der eine gern sieht, geht für den anderen unter die Gürtellinie – diese lässt sich aber nicht allgemeingültig definieren. Werbung soll Impulse wecken und lädt den Betrachter ein, sich eine Meinung zu bilden. Meinungsbildung ist aber ein Abwägen verschiedener Sichtweisen und nicht ihr Verbot. Wenn Marken dazu aufrufen, sich sexy zu fühlen, und dazu Frauen in Bikini oder Dessous zeigen, dann ist das kein Aufruf zum Rollenklischee. Im Gegenteil, es zeigt, dass diese Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und wir nicht mehr in einer Zeit leben, in der Frauen sich und ihre Bedürfnisse verstecken müssen. Das wäre nicht möglich, würde Werbung sinnlosen Beschränkungen unterliegen.

Florian Boitin, 46, ist seit 2009 Chefredakteur des Männermagazins Playboy

Spielregeln sind prima. Und gelten nicht nur im Sport, sondern auch in der Werbung. Beim Fußball werden Sünder vom Schiedsrichter verwarnt. Diese Rolle spielt in der Werbung der Deutsche Werberat. Bei beiden gilt das Prinzip: Erst Foul, dann Platzverweis. So gut, so bewährt. Nur nicht für einige Berliner Bezirkskommissare. Ein Fraktionsbündnis fordert jetzt nicht nur neue Spielregeln (rote Karte schon vor Spielbeginn), sondern drängt auch noch in die Spielleiterrolle – und bestimmt, was im Rahmen ist. Präventiv. Schließlich setze Werbung nur „überflüssige Kaufanreize.“ Und der schamlose „Sexismus“ trage zur „gesellschaftlichen Legitimation für Übergriffe auf Frauen“ bei. Das zeugt von einem fundamentalen Misstrauen in die Mündigkeit der Bürger. Dabei sollten die Grünen, die großen Anteil an diesem Verbotsantrag haben, aus ihrem Veggie-Day-Desaster gelernt haben. Auch da war sich die Partei sicher, die Bürger bevormunden zu müssen. Die Wähler zeigten ihr dafür die Gelbe Karte.