Auf die Straße, aber friedlich

Bei Demonstrationen in Berlin werben verschiedenste Gruppen um Sympathie und Unterstützung. Die meisten Deutschen bleiben ratlose Beobachter

AUS BERLIN EVA GNÄDIG

„Die Plakate müssen auf Deutsch sein, damit die Leute hier wissen, um was es geht. Und bitte keine Flaggen verbrennen“, hat Ahmad Muhaisen, Vorstand der Palästinensischen Gemeinde in Berlin, bei den Vorbereitungen zur Demonstration den Mitorganisatoren erklärt. „Manche verstehen das nicht. Aber das sind die Spielregeln, an die wir uns halten wollen.“ Er habe etwa 200 eigene Ordner abgestellt. Die Palästinensische Gemeinde, die „Achse des Friedens“ und mehrere arabische Vereine hatten zu dieser Kundgebung aufgerufen.

Samstag, kurz vor 16 Uhr: Muhaisen bespricht mit ein paar Kollegen noch einmal den Ablauf. Der Platz vor dem Roten Rathaus füllt sich zusehends. Die meisten Flaggen, die geschwenkt werden, sind libanesisch oder palästinensisch. Die Organisatoren der „Initiative für Frieden im Nahen Osten“, die vor zwei Wochen vor dem Auswärtigen Amt demonstriert hatten, sind auch da. „Wir warten aber erst mal ab, was für Transparente hochgehalten werden“, sagt Silke Lohde, Mitbegründerin der Initiative. Ein paar Frauen, die sich an den Rand des Brunnens gesetzt haben, sind auch noch skeptisch: „Wenn das friedlich läuft, laufen wir mit.“

Selbst gebastelte Collagen von Bildern verstümmelter Kinder werden hochgehalten. Einige Frauen sind verschleiert. Der Tenor der hochgehaltenen Transparente ist eindeutig: sofortiger Waffenstillstand und Frieden für den Nahen Osten. Als sich der Zug in Bewegung setzt, schallt arabische Musik aus den Lautsprechern des Demo-Wagens. Dem Zug voran wird ein Junge im Rollstuhl geschoben. Auf seinem Schoß hält er ein großes Nasrallah-Porträt. Die selbst ernannten Ordner haben zunächst Mühe, die in Fahrt kommende Menge „in der Spur“ zu halten. Sie haben ihre Leute aber schnell „im Griff“, wie Muhaisen beteuert. In der Menge ist auch ein Plakat mit der Aufschrift „US-Amerikaner gegen Angriffe auf Libanon und Palästina“ zu sehen. Daneben eines mit „Juden gegen Angriffe auf Libanon und Palästina“. „Ich bin Amerikanerin jüdischen Glaubens“, sagt die Plakatträgerin. Sie sei weder angefeindet noch beschimpft worden. „Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, die freuen sich!“, sagt sie. Bei dieser Demonstration scheinen sich die unterschiedlichsten Strömungen zusammengefunden zu haben. So skandiert ein paar Minuten später die Menge: „Freiheit für Libanon und Palästina. Kindermörder Israel. Frauenmörder USA!“ Als ein Plakat, das den amerikanischen Präsidenten mit der Bildunterschrift „Terrorist Nr. 1“ zeigt, verbrannt wird, sind die Ordner sofort zur Stelle. Die Frauen von vorhin laufen nun doch mit: „Weil es friedlich abläuft. Allgemeine Friedensdemos wären uns lieber – aber es gibt ja keine.“ Ursula Peters hält das Transparent „Großmütter gegen Krieg“ hoch. Die 72-jährige Deutsche und ihre Freundinnen bedauern: „Die Jüngeren wollen lieber Party machen. Dabei kann uns das sehr bald alle treffen.“ Vereinzelt sind gelbe Hisbollah-Fahnen zu sehen. Immer wieder werden Anti-Israel-Sprechchöre laut, die meist kurz darauf von Ordnern gestoppt werden. Eine große Amerika-Fahne mit Peace-Zeichen an Stelle der Sterne wird daneben geschwenkt. Niemand der Demonstranten stört sich daran. Bei der Abschlusskundgebung am Potsdamer Platz hält Muhaisen als Erster seine Rede – auf Deutsch. Er fordert eine „amerikanische Bürgerin, die sich mit uns solidarisiert hat“, auf die Bühne. Else Rassbach hat eine große regenbogenfarbene Friedensfahne mitgebracht. „Wir müssen gemeinsam Verbrechen bekämpfen“, ruft sie vom Wagen und erntet tosenden Applaus. Nur ein paar Halbstarke buhen sie mit Pfiffen aus. Muhaisen fordert über Mikrofon „sofortige Waffenruhe und Frieden“, ein Verbandskollege hält daraufhin eine kurze Ansprache auf Arabisch. Zum Abschluss spricht die Politikerin Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Sie fordert, „dass sich die Bundesregierung für eine sofortige Waffenruhe einsetzt“. Auch sie erntet tosenden Applaus.

Nach der Abschlusskundgebung verläuft sich die Menge schnell. Über 5.000 Demonstranten unterschiedlichster Überzeugungen hatten sich zusammengefunden, um gemeinsam vom Roten Rathaus bis zum Potsdamer Platz zu laufen. Organisator Muhaisen ist sichtlich erleichtert: „Ich glaube, es ist uns gelungen, unsere Botschaft friedlich rüberzubringen.“

Auch eine Pro-Israel-Demonstration am Freitag war friedlich verlaufen. Am Berliner Steinplatz hatten sich mehrere hundert Demonstranten zusammen gefunden, um ihre „Solidarität mit Israel“ zu bekunden. Auf weißen und blauen Luftballons stand „Schalom“ (Frieden), aus Lautsprechern kam Jazz-Musik. „Wir wünschen uns Ruhe. Aber wir stehen hinter Israels Entscheidungen“, sagte die Sprecherin, Emma Zchwiraschwili.

Parteilichkeit schreckt ab. Viele Zaungäste beider Kundgebungen bedauerten, dass es keine „allgemeinen Friedensdemos“ gebe. Und blieben – Zaungäste.