OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Ein Ausflug von Martin Scorsese ins Kostümgenre: „The Age of Innocence“ (Zeit der Unschuld, 1993), eine Verfilmung von Edith Whartons Gesellschaftsroman, spielt in den 1870er Jahren in den New Yorker Salons der feinen Gesellschaft, wo strenge Konventionen herrschen. Entsprechend inszeniert Scorsese einen Film der Blicke und Zeichen, die für die jeweiligen Protagonisten enorme Bedeutung besitzen, und folgt mit einer niemals stillstehenden Kamera jeder Geste. Stadtgespräch ist die Rückkehr der Gräfin Ellen Olenska (Michelle Pfeiffer), die sich in Europa unglücklich verheiratet hatte. Da sie von der Gesellschaft geschnitten wird, schwingt sich Newland Archer (Daniel Day-Lewis), der Verlobte von Ellen Cousine, zu ihrem Verteidiger auf – und verliebt sich in sie. Doch sein Liebesgeständnis kommt zu spät, die Konventionen scheinen unüberwindbar. Das Arsenal zeigt „The Age of Innocence“ im Rahmen der Magical History Tour, die diesen Monat ganz im Zeichen des Production Design steht. Für den italienischen Production Designer Dante Ferretti, der zuvor unter anderem Fellini-Filme wie „La Città delle donne“ und „Ginger e Fred“ ausgestattet hatte, war „The Age of Innocence“ die erste Arbeit in den USA. (13./14 8., Arsenal)
Der japanische Meisterregisseur Yasujiro Ozu gehört zu den Lieblingsfilmemachern von Wim Wenders. Für den Tagebuchfilm „Tokyo-ga“ fuhr Letzterer 1983 nach Tokio und begab sich auf Ozus Spuren. Dazu interviewte er beispielsweise den großen japanischen Schauspieler Chishu Ryu, einen ausgesprochen bescheidenen Mann, der in den meisten Ozu-Filmen auftrat, sowie den Kameramann Yushun Atsuta, und erfährt auf diese Weise interessante Dinge über Ozus Arbeitsweise. Doch „Tokyo-ga“ ist kein reines Ozu-Porträt, der Film dokumentiert und registriert vielmehr auch die baulichen wie gesellschaftlichen Veränderungen in Tokio rund zwanzig Jahre nach Ozus letztem Film, „Ein Herbstnachmittag“ (Sanma no aji, 1962). Im Übrigen zeigt auch „Tokyo-ga“ einmal mehr Wenders’ Grundhaltung beim Filmemachen: Ihm geht es stets um den Respekt vor dem Bild in einer Ära der Bilderfluten, und in diesem Punkt trifft sich sein Kino ganz sicher auch mit dem Yasuriro Ozus. (13. 8., Arsenal)
Freiluftkino in attraktiver Umgebung: Im Garten der Russischen Kolonie Alexandrowka in Potsdam gibt es im August jeden Freitag und Sonnabend Vorführungen von (vergleichsweise aktuellen) Filmhits und Kinoklassikern zu sehen – siehe auch Filmtipp auf Seite 25 oben. Am 13. August steht Milos Formans Gesellschaftsallegorie „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975) auf dem Programm. Da sabotiert Randle P. McMurphy (Jack Nicholson), Neuzugang in einer psychiatrischen Klinik, das totalitäre Regime der Oberschwester Mildred, die sich stets hinter pseudodemokratischem Gehabe verschanzt, mit fantasievollen anarchischen Aktionen. Doch er muss scheitern: Denn erstens sind fast alle Patienten freiwillig in diesem Irrenhaus und zweitens begreift er als absurdes Spiel, was in der Realität längst blutiger Ernst ist. (13. 8., Alexandrowka) LARS PENNING
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