Waaaaasser … Wasseeeeerrr!

ORTSTERMIN In Moskau erleidet der Russlandkorrespondent der taz die Auswirkungen der Waldbrände hautnah. Das hinderte die Behörden nicht daran, ihm das Wasser abzustellen

In sozialen Treffpunkten durften die Hilfesuchenden dann gemeinsam husten

VON KLAUS-HELGE DONATH

Moskau ist immer für Überraschungen gut. Besonders im August. Mal erklärt sich der Staat bankrott wie 1998, mal sinkt ein Atom-U-Boot mit lebendiger Fracht, die der Staat aus Räson einem qualvollen Tod überlässt. Diesmal schlägt die Natur zu. Hitze und Dürre entfachten Brände, die die Stadt im Smog versinken lassen. Zurzeit herrscht Atempause.

Der Grund: Westliche Winde vertrieben Gift- und Schadstoffwolken. Meteorologen trüben indes die Freude mit ihren Prophezeiungen. Denn der Wind dreht sich wieder, und auch die Hitze hält sich bei über 30 Grad. Zu früh also, die nassen Laken von den Fenstern zu nehmen. Sie sollen für ein wenig Kühlung in den Wohnungen sorgen und den gröbsten Rauchgestank neutralisieren. Kaum aufgehängt sind sie in der Bruthitze knochentrocken.

Westliche Waschlappen

Ausnahmezustände zeigen es immer wieder. Wir Westler sind im Vergleich zu echten Russen jammervolle Waschlappen. Natürlich gibt es auch Moskauer, die sich hinter geschlossenen Fenstern und Türen verbarrikadieren oder ins Ausland fliehen. Sie sind aber in der Minderheit, der Moskauer ist katastrophenerprobt und genießt zuweilen den Ausnahmezustand. Wenn Gase den Kreml verschlingen und dessen Umrisse nicht mehr zu erkennen sind, reagiert er gelassen. Hat die Kommandozentrale etwa in der Ökokatastrophe etwas ausrichten können?

Auch junge Mädchen tragen in diesen Tagen Atemschutzmasken. Sie verwandeln die Maske indes zu einem modischen Accessoire, dem flächengrößten Kleidungsstück in dampfender Hitze. Der Himmel über der Stadt war tagelang nicht zu sehen. Manchmal zeigte sich die geschrumpfte Sonne hinter einer graumilchigen Schlierschicht. Es hätte auch der Mond oder ein anderes Gestirn sein können, meinte Sascha, der vor der Metrofahrt noch genüsslich eine Zigarette schmaucht. Die vierzig Kippen, die er täglich kostenlos mit den allgegenwärtigen Rauchschwaden inhaliert, reichen ihm nicht.

Das Schicksal will herausgefordert werden. Gern tanzt Moskau am Rande des Vulkans. Im römischen Pompeji dürfte das Inferno nicht viel anders ausgesehen haben. Als im Stadtzentrum zwei Fahrzeuge kollidieren, deren Fahrer das entgegenkommende Auto wegen der Rauchwand nicht rechtzeitig sehen konnten, und sechs Insassen auf der Stelle sterben, machen Medien daraus zynisch einen Kollateralschaden.

Chaos und Normalität gehören auch in ruhigeren Zeiten zum Moskauer Alltag. Reales und Surreales lassen sich oft nicht auseinanderhalten. Vollends grotesk wurde es unterdessen, als sich die russische Gesundheitsministerin mit Moskaus Gesundheitsbehörde anlegte. Die hatte es nämlich in einem seltenen Anflug von Offenheit gewagt, die genauen Todeszahlen anzugeben. In den Leichenschauhäusern stapeln sich die Verblichenen.

Die Ministerin hielt die Angaben für erfunden. Vielleicht war daran aber nur die Hitze schuld, als sich die Ministerin zur heimlichen Herrin über Leben und Tod aufschwang. Bis dahin hatten die Behörden die Menschen sich selbst überlassen. In einigen Bezirken wurden für ältere Leute und Kränkelnde soziale Treffpunkte eingerichtet. Dort durften die Hilfesuchenden gemeinsam husten. Erträglicher als zu Hause war es dort meist nicht. Klimaanlagen stehen in den Räumen der Bürokratie, aber nicht einmal Krankenhäuser sind flächendeckend damit ausgerüstet. Ventilatoren und Klimaanlagen sind zurzeit Mangelware.

Es geht noch schlimmer

Vollends unerträglich wurde es am Sonntag, als sich die Anweisungen des obersten russischen Amtsarztes nicht mehr befolgen ließen. Er riet den Bürgern, mehrfach am Tag zu duschen. Das warme Wasser war schon letzte Woche abgestellt worden. Wie jeden Sommer nehmen Moskaus Versorgungsbetriebe prophylaktische Arbeiten am Leitungssystem vor. Auch Katastrophen können sie davon nicht abbringen.

Am Sonntag blieb dann bei mir auch das kalte Wasser weg, ohne Vorwarnung, einen Tag lang. Und in den Geschäften der näheren Umgebung war selbst das Mineralwasser vergriffen. Rauchpartikel und Schadstoffe lassen sich ertragen, es gibt in der Tat noch Schlimmeres!