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Hamlet nur noch mit roter Pappnase

Sein oder Nichtsein, das ist nicht mehr die Frage. Der Prinz von Dänemark steht nur noch in der Kulisse. Die Nebendarsteller aus Shakespeares Königssohn-Tragödie drängen jetzt ins Rampenlicht. Die Bremer Shakespeare Company zeigt im Neusser Globe „Rosenkranz und Güldenstern sind tot“

VON LUTZ DEBUS

Schreienden Schauspielern werden ihre aus dem Gesicht gerissenen roten Pappnasen als Knebel in den Rachen gestopft. Güldenstern und Rosenkranz, die sich durch Zufall und Dummheit in die aus Shakespeares Hamlet bekannte Intrige am Hofe zu Dänemark verstricken, wirken zuweilen wie Stan und Olly. Manchmal auch wie Samuel Becketts Wladimir und Estragon, die noch immer auf Godot warten. Nur wartet bei der eigenwilligen Bearbeitung der Bremer Shakespeare Company niemand. Clowns dulden keine langen Szenen. Und so fuhrwerken drei Hände in Güldensterns Gesicht umher. Sehr bald merkt der Arme, dass nur zwei davon die eigenen sind.

Hinter zwei Nervenheilanstalten versteckt steht in Neuss das Globe-Theater. Ein passender Ort, denn auf dem Spielplan des allsommerlichen Shakespeare-Festivals steht „Rosenkranz und Güldenstern sind tot“. Das Stück von Tom Stoppard aus dem Jahr 1968 wechselt die Perspektive. Aus den Randfiguren werden die Protagonisten, aus dem irren Hamlet wird fast ein Statist. Die Bremer Company zeigt das Stück in einer Mischung aus Slapstick und absurdem Theater.

Natürlich wagen die beiden Ex-Kumpels Hamlets auch den Sprung ins Publikum. „Es ist schön, etwas verfolgen zu können, ohne aufgeklärt zu werden, worum es geht.“ Das ist nicht nur Selbstironie, das ist auch Erklärungsversuch. Stoppard, auch bekannt durchs Drehbuch zum Kinofilm „Brazil“ (UK 1985, Regie: Terry Gilliam), versucht hier, sich dem menschlichen Dasein mit Brüchen und Widersprüchen anzunähern. Doch kann eine Tragödie von Shakespeare mit den Mitteln von Monty Python transparenter werden?

Zumindest ist das auch eine britische Theatertradition, und so wechseln die Mimen wie bei der britischen Chaostruppe auch schon mal die Darstellungsform. Selbst das Schattenspiel wird benutzt, um das entlarvende Theaterstück dem königlichen Publikum im Globe zu zeigen. Als Leinwand dient eine knittrige Batikdecke. Sie macht aus klaren Umrissen verzerrte Silhouetten, sorgt für Brüche in der Abbildung der Realität. Das schafft sonst nur eine Computeranimation im Kinofilm. Dazu noch dumme Sprüche aus dem Off: „Sein Onkel wird König – ungewöhnlich!“ Jetzt ist Shakespeare reduziert aufs Groschenheftformat. Der Übersetzer von Stoppards Worten hat als Kind bestimmt eine Menge guter Mickey-Maus-Hefte gelesen. Der die Szenen kommentierende Schauspieler trägt eine Lederkappe mit Schutzbrille wie sonst nur Snoopy im Luftkampf mit dem Roten Baron. Comic und Komödie, die Übergänge im Stück bleiben fließend. Selbst das Wort „Inzestinierung“ wird zur Erklärung des gelegentlich wirr erscheinenden Beziehungsgeflechts genutzt. Ein Theaterskandal bleibt dem rheinischen Publikum aber erspart. Unzucht getrieben wird zwar bei Licht – aber hinter verschlossenem Vorhang. Man sieht alles und doch nichts. Das ist nicht erotisch, das ist komisch, wie sich der mit Krone bekleidete mit der ebenfalls mit Krone bekleideten abmüht.

Warum also vor dem Tod Angst haben? Man weiß doch nicht, was er ist. Kein Philosoph, kein Theologe könnte das treffender und vor allem eindrucksvoller formulieren als Tom Stoppard mit Güldenstern und seinem Rosenkranz. Wenn nicht immer wieder irgend jemand auf einer Bananenschale hätte ausrutschen müssen. Wenn nicht die Titelhelden auf dem Schiff nach England ins Verderben reisend, wie das Pärchen von „Titanic“ eng umschlungen vorn am Bug, „Near, far, where ever you are“ hätten schmettern müssen. Es wäre großes Theater gewesen. So war es eher Tragiklamauk.

Heute Abend zeigen sie noch „Zwei Herren aus Verona“, einen ziemlich selten gespielten Shakespeare von 1594 – natürlich mit großem Unterhaltungswert.

20:00 Uhr, Globe, Neusswww.shakespeare-festival.de

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