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ZWISCHEN DEN RILLENDie dystopische Elektronik des Matthew Dear

MATTHEW DEAR, „BLACK CITY“ (GHOSTLY INTERNATIONAL/ALIVE)

Immer desinteressiert und übernächtigt, in perfekter Symbiose mit dem schlafwandelnden Tempo

Bedrohlich, chaotisch, dreckig, bewohnt von einsamen, verzweifelten Menschen mit völlig aus dem Takt geratenen moralischen Maßstäben – so sieht das klassische dystopische Bild der Stadt in unzähligen Filmen aus. Das molochartige Los Angeles aus Ridley Scotts „Blade Runner“ oder das fiktive Gotham City der „Batman“-Verfilmungen. Auch die „Black City“, die als Namenspatronin für das vierte Studioalbum des US-amerikanischen Musikers Matthew Dear dient, scheint so eine Stadt zu sein.

Beim Topos Stadt gesteht man Dear einiges an Kompetenz zu. Irgendwo im texanischen Nirgendwo geboren, ging er Ende der 90er Jahre zum Studium ins verschlafene Universitätsstädtchen Ann Arbor in Michigan. Von dort war es nur ein Katzensprung nach Detroit, dem ultimativen Symbol für den urbanen Verfall des postindustriellen Zeitalters. In Detroit kam er in Kontakt mit dem Soundtrack dieses Verfalls – Techno. Seitdem produziert Dear unter verschiedenen Pseudonymen meist kalte, steril wirkende, ultrafunktionale Tanzmusik.

Aktuell lebt er in New York und hat als DJ schon jede Metropole des Planeten zwischen Berlin und Bangkok bereist. Bis hier ist die Geschichte des Matthew Dear wahrlich keine Ausnahme und sie könnte jetzt auch enden, gäbe es da nicht noch einen anderen Matthew Dear. Den Songschreiber nämlich, der vehement aus dem limitierenden Korsett elektronischer Tanzmusik hinausdrängt. Den Produzenten, dem es gelingt, ein an David Bowie und den Talking Heads geschultes Popverständnis so mit seiner House- und Technosozialisation zu verbinden, als sei es das Natürlichste der Welt. Und natürlich den Sänger, der zwar mit keiner perfekten, aber doch einer so prägnant-sonoren Stimme gesegnet ist, dass man ihr auf Albumlänge gerne zuhört.

Bereits in „Honey“, dem Auftaktsong von „Black City“, kommt sie wirkungsvoll zum Einsatz. Immer ein wenig desinteressiert und übernächtigt, in perfekter Symbiose mit dem schlafwandelnden Tempo des Stücks. Die Reise durch „Black City“ erinnert dadurch oft an eine Taxifahrt in regnerischer Nacht, bei der man die Umgebung nur schemenhaft wahrnimmt. Beunruhigend zwar, aber für echte Endzeitstimmung leuchten die bunten Lichter noch viel zu verführerisch.

Im Vergleich zum leicht naiven Optimismus des Vorgänger-Albums „Asa Breed“ ist „Black City“ ein großer Schritt nach vorn. Ein wenig inkonsequent ist es schon, dass ausgerechnet der am stärksten nach „Asa Breed“-Zeiten klingende Titel „Little People (Black City)“ als erste Single herhalten muss. Doch hätte der Matthew Dear von 2007 die etwas kitschige, an französische House-Musik erinnernde Synthesizermelodie noch für sich stehen lassen, bringt er 2010 auf der textlichen Ebene zartbittere Ambivalenzen ein: „What have you done, lost the right one“. Auf „Black City“ findet sich kein einziges Stück, das derzeit von einem DJ in einem Club aufgelegt würde. Trotzdem ist das Nachtleben als Reflexionsgegenstand allgegenwärtig, seine Glücksversprechen werden als leere Hülle entlarvt. Die verzerrte Basssequenz in „You Put A Smell On Me“ ist in diesem Kontext eher störend als euphorisierend und komplementiert die überdrehte Phallus-Phantasie eines Typen in seinem „großen schwarzen Auto“ auf der Jagd nach einem „kleinen roten Abendkleid“.

„Black City“ ist weder ein musikalisch besonders innovatives Album noch eines, das Smashhits aufweisen könnte. Vielmehr lebt Dears Musik davon, eine Erkenntnis atmosphärisch zu verdichten, die LCD Soundsystem-Chef James Murphy vor Jahren in seinem Song „New York I love you, but you’re bringing me down“ auf den Punkt brachte: Die Großstadt produziert ein ständiges Begehren, das nie eingelöst werden kann und ohne das es sich aber genauso unmöglich leben lässt wie mit ihm. JULIAN JOCHMARING

■ Matthew Dear, DJ-Set, Berlin, „Watergate“, heute

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