Männer hinterm Schleier

FOTOGRAFIE Die in Berlin lebende rumänische Fotografin Loredana Nemes porträtiert Gäste und Personal von Migrantenmännercafés

„Wie zeigst du uns? Als Türken oder als Menschen?“, wollte ein Mann von der Fotografin wissen

VON MARKUS WECKESSER

Moscheen und Männercafés gehören zwar vielerorts zum Stadtbild, trotzdem werden sie noch immer wie Fremdkörper wahrgenommen. Während sich die Moscheen in Deutschland zunehmend um Transparenz bemühen, versuchen die Gäste der Männercafés eher unter sich zu bleiben. Gleichzeitig liegen arabische und türkische Männercafés aber nicht wie viele Moscheen in Hinterhöfen, sondern fast immer zur Straßenseite hin. Meist handelt es sich um ehemalige Ladenlokale oder aufgegebene Kneipen. Was im Inneren abläuft, ist vielen Passanten ein Rätsel. Dürfen Deutsche solche Läden betreten? Ja. Auch Frauen? Ja. Und tun sie es? Nein.

Auf ihren Wegen durch den Berliner Bezirk Neukölln, in dem sie seit 2001 lebt, passierte Loredana Nemes täglich eine Reihe von Männercafés. Hinein wagte sich die Fotografin nicht. Erst durch die Arbeit an der Serie „Berliner Männerwelten“ kam sie mit Betreibern und Gästen in Kontakt. Ihre schwarzweißen Nachtaufnahmen zeigen streng frontale Ansichten der von innen beleuchteten Cafés und sind derzeit in der Kölner Baukunst Galerie zu sehen.

Sportpokale und Milchglas

Die Cafébesucher begegneten Loredana Nemes mit großer Gastfreundschaft und Herzlichkeit, aber auch ein wenig verunsichert. Denn die Fotografin brach in eine Männerwelt ein, in der Frauen nur eine marginale Rolle spielen, etwa als Bedienung. Weil die Herren unter sich bleiben wollen, wurden die Cafés ja überhaupt erst eingerichtet. Es sind Parallelwelten im multikulturellen Berlin.

Mit semitransparenter Folie beklebte Fenster und Milch- oder Sicherheitsglas sollen neugierige Blicke fernhalten. Schemenhaft sind auf den Fensterbänken Pflanzen, Wasserpfeifen, Stühle und einzelne Gäste zu erkennen. Nur der obere Teil erlaubt die Sicht auf Poster von Fußballvereinen, Sportpokale, Landkarten, Nationalfahnen, Fernseher und Fotos von Kemal Atatürk. Mit der Tradition der alteuropäischen Kaffeehauskultur verbindet diese Räume nichts. Die oft schmucklosen Männercafés dienen als Treffpunkt für Bekannte, aber auch als Rückzugsort vor den Anforderungen der Familie und den Herausforderungen des Alltags. Loredana Nemes arbeitet nicht sozialdokumentarisch. Sie konzentriert sich auf stilisierte Außenansichten und verstärkt so den Blick der Menschen, die vorübergehen. Die Männercafés bleiben für Betrachter aus dem hiesigen Kulturkreis fremd und rätselhaft. Solange bis einer den Schritt hinein wagt.

Nicht weniger sinnbildhaft wirken die Porträts von Cafégästen, die hinter den Caféfenstern in selbst gewählter Haltung posieren. Für gewöhnlich ist es die Frau, die sich in der islamischen Gesellschaft verschleiern muss. Hier nun tritt der Mann freiwillig hinter eine Art Gaze. Zugleich wird der Eindruck erweckt, dass sich der Porträtierte im Café versteckt. Je näher er an die Scheibe herantritt, desto mehr ist von seiner Physiognomie zu erkennen. Einer drückt die Nasenspitze auf, ein anderer scheint zu lachen. Ihre Konturen sind jedoch verschwommen. „Wie zeigst du uns? Als Türken oder als Menschen?“, wollte ein Mann von der Fotografin wissen. Mit ihren Bildern gibt Loredana Nemes die Frage an den Betrachter weiter.

Wie aber sehen Männer sich selbst? Um möglichst unverfälschte Antworten zu erhalten, setzte die Fotografin für die Reihe „Über Liebe“ an der Siegfriedstelle an. „Liebst du eine Frau?“, fragte sie Männer unterschiedlichen Alters und Typs in Sibiu, Washington, Madrid, Oslo, Berlin, Chania und Gent. Dann bat sie die Männer um ein gemeinsames Porträt per Selbstauslöser. In der Galerie Baukunst präsentiert Nemes die Porträts und die Transkripte der Antworten in schlichten Holzrahmen.

Die Typenserie

So ungewöhnlich das Anliegen der Künstlerin, so ungewöhnlich war ihre Kleidung. Denn Nemes schlüpfte jedes Mal in ihr eigenes Brautkleid und bot sich als Stellvertreterin an. Nicht jedem Angesprochenen fiel es angesichts der fremden Frau leicht, seine Liebe in Worte in fassen.

In den Antworten der Männer kommen gleichermaßen ihre Sprachlosigkeit, Angst, Hoffnung, Selbstsicherheit, Naivität, Traurigkeit und Faszination zum Ausdruck. In ihrer Gesamtheit entpuppt sich die Serie als eine Typologie von Liebhabern. Vertreten sind unter anderem der Romantiker, der vor der Angebeteten niederkniet, der Zweifler, der ihr fragend in die Augen schaut, der Übermütige, der sie auf Händen trägt, der Schüchterne, der seinen Kopf in ihrer Schulter vergräbt, der Abgeklärte, der auf Körperkontakt verzichtet, und der Kuschelige, der sie innig umarmt.

Vielleicht hat Loredana Nemes im Laufe ihrer Arbeit erfahren, was das Phänomen der Liebe ausmacht und warum ihre eigene Beziehung gescheitert ist. Das verwendete Hochzeitskleid kam nämlich nie zum ursprünglichen Einsatz. Drei Wochen vor dem anberaumten Termin wurde die Zeremonie abgesagt. Erst für das Fotoprojekt holte sie das schöne Stück wieder aus dem Schrank und stellte sich für einen Moment vor, der jeweilige Mann sei tatsächlich ihr Angetrauter: Kunst als Selbsttherapie.

■ Bis 28. August, Baukunst Galerie Köln; bis 2. Oktober: „Über Liebe“, Stiftung Schloss Neuhardenberg; Katalog (Hatje Cantz) 39,80 Euro