Cowboys und Indianer

Post aus Nahost (5): Iman Humaidan Junis über Szenen der Menschlichkeit und Aasvögel mit Mikrofonen

Nun ist es schon mehr als 18 Tage her, dass der Krieg begann. Alles hat sich verändert in Beirut. Traurig, schmutzig und dunkel wirkte die Stadt, als ich mich gestern Abend auf die Suche nach einer Tankstelle machte, die noch Benzin ausliefert. Ich habe keine gefunden, während die israelische Armee weiter die Straßen des Libanons beschießt, aus der Luft und von der See.

Was, wenn meiner Tochter etwas passiert und ich sie ins Krankenhaus fahren muss? Allein die Vorstellung erschreckt mich fast zu Tode. Die Vorstellung, dass geliebte Menschen in meinem Umfeld leiden müssen, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. Das ist derzeit das dominierende Gefühl im Libanon. Eine ganze Bevölkerung ist wehrlos dem Feuer ausgesetzt, dem Terror und allen möglichen anderen Bedrohungen.

Um wenigstens für den Notfall genug Sprit zu haben, schränke ich meine Autofahrten ein. Freunde habe ich besucht, die ich seit dem 12. Juli nicht mehr gesehen hatte. Wir trafen uns in einem der wenigen Cafés, die überhaupt noch einen „normalen“ Betrieb wagen. Meine Freunde sprachen über den verschobenen Besuch von Condoleezza Rice im Nahen Osten. Sie diskutierten auch die wenigen verbliebenen Wege, auf denen Zivilisten dieser Hölle entkommen könnten. Aber viele Wege sind es nicht, der Gewalt zu entgehen, wenn Zivilisten überall gejagt werden, in Straßen, Häusern, Büros und Behelfsbunkern. Das Leben in Beirut liegt wie gefesselt, wie mein eigenes und das von tausenden anderen Libanesen.

Gestern war ich, wie immer, im Garten von Sanajeh. Ausländische Journalisten rückten an, bewaffnet mit Mikrofonen, Kameras, Stiften und Notebooks. Meine Freundin Emily nennt diese Leute „die Geier“, weil sie immer dort auftauchen, wo der Tod ist. Ich hoffe immer noch, dass sie wenigsten berichten, was in diesem Land los ist.

Ahmad, der aus der südlichen Vorstadt geflohen ist, meinte gestern: „Ich habe das Gerede satt, nichts ändert sich.“ „Wir brauchen Laken und Matratzen“, sagte ein anderer Flüchtling.

Abir, der im Sanajeh für eine humanitäre NGO arbeitet, hält die Krise für nicht mehr kontrollierbar und die psychologische Situation der Mitglieder vertriebener Familien für extrem bedenklich. Die jungen Libanesen in einer anderen Organisation haben auf die Krise mit einem Notfallplan und konkreten Aktionen reagiert. Jetzt besuchen sie Schulen, wo sie mit den Kindern singen, malen, spielen und schreiben.

Seit letztem Montag sind die Bilder vom Kana-Massaker ständig auf allen Fernsehkanälen zu sehen. Meine sechzehnjährige Tochter weinte, weil sie nicht verstehen konnte, warum unschuldigen Kindern so etwas passiert ist. Frauen und Kinder, deren einziges Verbrechen in dem Glauben bestand, allein ihre Unschuld würde sie schon vor der Gewalt bewahren.

Heute begegnete ich einem Taxifahrer, der mit seinem Wagen auch seine einzige Einkommensquelle verloren hat und mit voller Wut und Verzweiflung fragte: „Erinnerst du dich an die Rothäute, die Indianer? Wir sind jetzt die Indianer, und die israelischen Cowboys jagen uns mit ihren tödlichen Waffen von einem Ort zum nächsten.“

Ich sagte nichts.

Es kann sein, dass wir in der Zukunft unser Land wieder aufbauen werden. Aber wie werden wir die verheerende Hoffnungslosigkeit besiegen, die uns in der Gegenwart alle überwältigt?

Iman Humaidan Junis (Beirut) schreibt im Wechsel mit Ron Kehrman (Haifa) aus dem Kriegsgebiet.Aus dem Englischen von Arno Frank