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Witzig und im schwarzen Kleid

UNAUFHALTSAM Auf dem Weg von einer linksgerichteten Studentin zur Diva: Gustav sang mit Begleitung im Festsaal Kreuzberg

Sie machte sich über das „hochverehrte Publikum“ lustig und über sich selbst

Traurig aber wahr: „Ich wollte viel ändern, aber die Jahre, sie vergehen … Und ich hab nichts bewirkt, und es blieb alles stehen.“ Die Jahre, die vergehen: Vor einiger Zeit war Eva Jantschitsch alias Gustav eine unscheinbare Frau hinter Geräten, eine Frau im Glück. Eine vorwitzige, linksgerichtete Studentin aus Wien, die eine hörbar gute musikalische Ausbildung hinter sich hatte und in kleinen Elektronikoden zeitgemäßes Fiepen, Knirpsen und Stampfen mit schlauen, hintersinnigen und politisch korrekten Texten verbunden hat.

„Rettet die Wale“ hieß ihr Debüt, es wurde nach und nach ein kleiner Insider-Tipp, vornehmlich älter werdende Männer mit mindestens fünf Büchern aus dem Merve Verlag im Schrank konnten sich schnell auf sie einigen. Gustav. Ich wollte viel ändern, aber die Jahre, sie vergehen.

Jetzt ist Eva Jantschitsch eine fast schon arrivierte Künstlerin. Eine wie nebenbei schwangere Dame mit langen Haaren und der Ausstrahlung einer zu jeder Selbstironie fähigen Diva. Im schwarzen Kleid. Mit musikalischer Begleitung auf der Bühne (Elise Mory an den Tasten, Oliver Stotz an der Gitarre). Dies Chansonsängerin aus Graz beziehungsweise Wien trat auf für das immer noch aufgeklärte Publikum im fast ausverkauften Festsaal, also für die Kreuzberger Version der arrivierten Boheme; gern gleichgeschlechtlich orientiert, durchsetzt mit Prominenz aus den üblichen Zusammenhängen, oder wie ein Kollege eines linken Wochenblatts meinte: Berlin vollständig anwesend.

Und Gustav selbst musste sehen, dass der Applaus einerseits überaus stark war, Begeisterung allenthalben, aber von Mitmachen, Humor und Tanz schien das von Seriosität gekillte Publikum nicht so viel zu halten.

Was schade war. Denn Gustav brachte nicht nur ihre Agitpop-Klassiker wie „Abgesang“ oder „We Shall Overcome“, sondern durchaus tanzbare, ins Technoide schwappende Clubstücke in Chansongewand. Mit musikalisch genauso witzigen Einfällen. Wie bei ihren Zwischenansagen: Da machte sie sich mal über Mariah Carey lustig, mal über das „hochverehrte Publikum“ oder „die lieben Buben“, in erster Linie aber über sich selbst.

Die Setlist begann mit „Abgesang“ und also fast schon dem vorweggenommenen Höhepunkt, aber Gustav und Band konnten die Spannung halten. Die englischsprachigen fielen gegenüber den deutschsprachigen Stücken weit ab, aber das kann an der Erwartungshaltung liegen, die sich bei klugen deutschen Texten eben automatisch ergibt. Es gab auch einige Musiker im Publikum, Musikerinnen aus der Berliner Schlafzimmermusikbewegung, die immer noch dem Loop-Pedal als Fetisch frönen und hier auf jeden Fall was lernen konnten.

Was nach dem Album „Verlass die Stadt“ von 2008 jetzt natürlich kommen muss, ist ein neues, noch erfolgreicheres Album. Dann ist die Karriere dieser Frau nicht mehr aufzuhalten. Aber tatsächlich ist Eva Jantschitsch offensichtlich erst einmal mit anderen, vielleicht wichtigeren Dingen beschäftigt.

Das ist schön, aber natürlich irgendwie auch schade; schade um die einzige Frau, die es schafft, die Radikalität linken Sprechens mit der Radikalität eines morbiden, selbstironischen Humors zu verbinden und auf musikalischer Ebene den vermeintlich hochkulturellen Einfluss (Schubert etc.) mit Chanson und Kabarett, aber vor allen Dingen der Entwicklung eigenwilliger elektronischer Musik zu vereinigen. Ohne dabei zu akademisch oder prätentiös zu werden. Ach.

„Drum zieh ich die Schlüsse, wenn ich Schlüssel seh. Und ich wähl den Weg des geringsten, denn der andere tut so weh, so weh, so weh.“ In diesem Sinne.

RENÉ HAMANN

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