Erst Drohnen, dann Bomben

Eins ist klar: Die Hisbollah weiß, wer hier aus- und eingeht. Mindestens genauso gutwie die Israelis

AUS BAALBEK KARIM EL-GAWHARY

Malerisch ist es hier. Die Bekaa-Ebene im Osten des Libanons erstreckt sich über den Al-Schweir-Bergrücken, auf dessen Gipfeln Schnee liegt. Die Kornkammer des Landes schaut aus wie ein Flickenteppich: unzählige Felder, unterbrochen von kleinen Dörfern, am Horizont schwingt sich die nächste Bergkette in den Himmel. Kaum zu glauben, dass hier Krieg herrscht. Aber so ist es.

Im Tal angekommen, ist der Ausnahmezustand nicht mehr zu übersehen. Die wichtigste Verbindungsstraße, die die Ebene von Süden nach Norden durchzieht, ist immer wieder unterbrochen – Bombenkrater tun sich auf. Aber dank des flachen Bodens und des steinigen Untergrundes ist es für Autos kein Problem, auf frisch erschlossenen Pfaden die Löcher zu umfahren. Immer wieder sieht man am Straßenrand die Reste ausgebrannter Tankstellen, die Molkerei „Liban Lait“ ist völlig zerstört, fünf Raketen haben gereicht. „In zwei Minuten wurden hier 42 Jahre harter Arbeit zerstört“, ärgert sich Salah Barake. Er ist Geschäftsführer der Molkerei und kann nicht glauben, dass eine Milchfabrik ein militärisches Ziel sein soll.

Am Ausgang des Tales liegt Baalbek. Die Kleinstadt nahe der Grenze zu Syrien gilt als eine Hochburg der Hisbollah, obwohl hier auch viele Christen leben. Zu Friedenszeiten findet in Baalbek jedes Jahr ein bekanntes internationales Musikfestival statt, dann dienen die spektakulären römischen Ruinen im Stadtzentrum als Kulisse. Die Anlage zählt zum Weltkulturerbe, allein der kleinste Tempel hier, der Bacchustempel, ist größer als die Akropolis in Athen. „Hier wurde Gott sei Dank noch nichts zerstört“, sagt Touristenführer Chalil Abbas erleichtert. Der größte und berühmteste Tempel hat 52 Säulen, die Römer hatten ihn Jupiter geweiht, dem Gott des Blitzes und des Donners.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat die Kleinstadt allerdings eine ganz andere Gewalt heimgesucht. Von elf Uhr nachts bis morgens um fünf Uhr flog die israelische Luftwaffe hier mindestens zwölf Einsätze. Mindestens 15 Menschen starben. Die Folgen des Angriffs sind noch immer deutlich zu sehen. Ein Viertel ganz in der Nähe der Anlage ist in jener Nacht fast vollständig zerstört worden, Abbas führt uns hin.

Nur noch vereinzelt stehen hier in al-Asajreh die typischen zweistöckigen Häuser der Stadt. In den Ruinen findet sich zunächst niemand, der schildern könnte, was geschehen ist. Dies ist der Ort, an dem israelische Kommandoeinheiten in der Nacht gelandet sind und fünf Libanesen verschleppt haben. Hisbollah-Kämpfer, behauptet Israel – unschuldige Zivilisten, sagen die Libanesen. Der Einsatz war der weiteste Vorstoß israelischer Truppen in den Libanon seit zwölf Jahren, Baalbek liegt 120 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt.

Hassan Abdel Dschamal, der Gemüsehändler, hat als Einziger trotzig seinen Laden geöffnet, obwohl weit und breit keine Kundschaft zu sehen ist. Er sagt, es sei die schlimmste Nacht seines Lebens gewesen. „Erst kamen die unbemannten Spionagedrohnen und haben alles fotografiert. Dann kamen die israelischen Kampfjets.“ Um ihn herum habe es stundenlang geknallt. Gott sei Dank seien die meisten der hier gebliebenen Einwohner in den Bunkern gewesen, sagt er. „Dann sind die Israelis mit mehreren Hubschraubern neben einem Haus gelandet und haben fünf Menschen mitgenommen“, erinnert er sich. „Hier gibt es zwar Hisbollah-Kämpfer“, räumt er ein, „aber die, die sie verschleppt haben, waren Zivilisten. Die haben alle keinerlei Beziehungen zur Hisbollah“ – einfach ein paar Nachbarn, die zusammensaßen und das Bombardement gemeinsam abwarten wollten. Dass die israelische Armee, trotz bitter nötiger Erfolgsmeldungen, bisher niemanden der verschleppten Libanesen öffentlich identifiziert hat, scheint dem Gemüsehändler Recht zu geben.

Ein alter weißer Mercedes kommt die ansonsten leere Straße heruntergefahren. Darin drei junge Männer. Die Schabab, die Jungs – so werden die Hisbollahkämpfer im Süden, aber auch hier in der Bekaa-Ebene genannt. Sie sind nicht bewaffnet, tragen stattdessen nur Walkie-Talkies, wie immer, wenn man ihnen im Libanon begegnet. Höflich bittet einer von ihnen um einen Ausweis. Der ägyptische Presseausweis und der arabische Name scheinen ihn zu beruhigen, er lächelt freundlich. „Sie können weiterfragen, aber bitte fotografieren Sie niemanden von uns.“

Dann nimmt er sicherheitshalber doch den Gemüsehändler zur Seite und erkundigt sich, welche Fragen ihm gestellt wurden. Die Jungs scheinen beruhigt und ziehen ihrer Wege. Aber eines ist klar: Die Schabab wissen, wer hier aus- und eingeht.

Mindestens genauso gut wie die Israelis. Hoch oben in der Luft ist ununterbrochen das typische Röhren ihrer unbemannten Drohnen zu hören. Wie kleine ferngesteuerte Modellflugzeuge schauen sie aus – sie filmen jede Bewegung in der Stadt. Die Leute in der Bekaa-Ebene und im Süden wissen: Wenn mehrere Drohnen gleichzeitig auftauchen, steht meist ein Bombenangriff bevor. Die hübschen Modellflugzeuge markieren schon mal die Ziele für die Bomber, die folgen werden.

Am anderen Ende der Stadt befindet sich das Dar-al-Himkeh Krankenhaus. In der von der Hisbollah-nahen Scheich-Chomeini-Stiftung geführten Klinik hat in jener Nacht eine weitere spektakuläre Kommandoaktion der israelischen Armee stattgefunden. Ein israelischer Kampfhubschrauber war auf dem Dach gelandet, es gab eine heftige Schießerei. Die überall herumliegenden leeren Patronenhülsen, auch größere Kaliber mit hebräischer Aufschrift, zeugen davon. Länger als eine Stunde habe das Ganze gedauert, berichten die Anwohner. Dann, nachdem die israelischen Soldaten das Krankenhaus durchsucht hätten, seien sie unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Offensichtlich hatten sie das Gesuchte nicht gefunden.

Später hieß es von israelischer Seite, das Krankenhaus habe der Hisbollah als logistische Basis gedient. Israelischen Medienberichten zufolge sollen die Soldaten versucht haben, Scheich Mohammed Jasbek, ein Mitglied des höchsten Führungszirkels der Hisbollah, aus dem Krankenhaus zu entführen.

Das wiederum wurde von der Hisbollah dementiert – es habe sich kein Führungsmitglied der Gruppe dort aufgehalten. In anderen, ebenfalls unbestätigten Berichten heißt es, in dem Krankenhaus seien die beiden von der Hisbollah verschleppten israelischen Soldaten vermutet worden.

In der Tat ist das Dar-al-Himkeh-Krankenhaus eine sehr merkwürdige Klinik. Am Tag nach dem Angriff ist sie leer und verschlossen. Einer der Krankenhauswächter erklärt wenig überzeugend, es habe keine stationären Patienten gegeben, hier sei ausschließlich ambulant behandelt worden – und jetzt sei die Ambulanz eben geschlossen. Es ist der Tag nach einem äußerst heftigen Bombardement auf Baalbek, und es gibt keine Verletzten?

Es seien nur sechs Krankenpfleger im Krankenhaus gewesen, erzählt er weiter. Einer von ihnen sei von den Israelis erschossen worden. Den überall herumliegenden Patronenhülsen nach zu urteilen, müssen es recht gut bewaffnete Krankenpfleger gewesen sein.

Ein paar hundert Meter entfernt befindet sich ein Straßenkontrollpunkt der regulären libanesischen Armee. Also jener Truppe, von der Israel fordert, sie möge im Süden des Libanons und in der Bekaa-Ebene der Hisbollah die Kontrolle aus der Hand nehmen. Der Checkpoint ist verlassen, die Soldaten sind vor den israelischen Bomben geflohen.

Und da kommt er noch einmal um die Ecke, der alte weiße Mercedes. Die Jungs winken freundlich. Anders als die Soldaten der libanesischen Armee, haben sie wenige Stunden nach den israelischen Angriffen ihre Patrouillen durch die Straßen Baalbeks wieder selbstbewusst aufgenommen.