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VON ZERBRÖCKELNDEN BUSINSASSEN IN HONGKONG UND EINEM JUNKIE, DER TROTZ AXT IN DER SCHULTER NOCH NICHT NACH HAUSE WILLDer Roman eines gewissen Mr. Pizza

Draußen im Kino

VON DETLEF KUHLBRODT

Nach ein paar Tagen Berlinale war ich erschöpft von dem vielen Input, deprimiert irgendwie, weil mir beim Schreiben nicht die richtigen Sätze einfielen, und hatte Kopfschmerzen, weil ich beim Arbeiten zu viel rauchte und Kaffee trank. Außerdem hatte ich gegenüber Audi ein schlechtes Gewissen, weil ich mich über die schöne Automarke lustig gemacht hatte. Dabei sehen die Audis ganz lustig aus. Das Science-Fiction-hafte Modell, das im Eingangsbereich der Audi-Lounge steht, hat ganz komische Räder, die man gar nicht sieht; ein anderes, das in der Nähe lachender Polizisten parkte, ist ganz weiß mit ebensolchen Polstern und bestimmt auch ein großer Spaß.

Zwischen den Filmen traf ich nur wenige bekannte Gesichter. Einmal A. vor dem Berlinale-Palast, der mich auf einen kleinen Text angesprochen hatte, den ich über E., einen gemeinsamen Bekannten, geschrieben hatte.

Viel Bier im „Sargnagel“

Früher hatte E. im Videodrom und auch fürs Fernsehen gearbeitet. Später dann noch manchmal Videovorträge über die Beatles, seine Lieblingsband, in der „Kahuna Lounge“ gehalten. Der Alkohol war der Feind, von dem er nicht hatte lassen wollen. Kurz vor der Berlinale war er begraben worden. Danach waren wir in der Gastwirtschaft „Sargnagel“ gewesen und M. hatte ein paar Bier getrunken, obgleich er eigentlich nicht mehr trinken darf. Zwischen den Filmen dachte ich an ihn und hoffte, dass das nicht die Einleitung für weitere Trinkereien gewesen war.

Der Zweite, den ich traf, war B. Er – ein ziemlich guter Fußballer – war traurig, weil irgendwas mit dem Bein ist, so dass er wohl nie mehr Fußball spielen kann, ich war frustriert, weil mir die Schulden über den Kopf wachsen, und ein bisschen neidisch auf die Berlinale-Mitarbeiter, weil sie doppelt so viel wie ich bei den Filmfestspielen verdienen und auch besser aussehen.

Komplett erledigt erwog ich irgendwann, die Berlinale abzubrechen, und ging erst abends wieder ins Kino. In den Zoo-Palast 2, wo „The Midnight After“ von Fruit Chan gezeigt wurde. Mit vielen seiner Filme hat der Hongkong-Regisseur der zweiten Welle seit mehr als zwanzig Jahren für Furore gesorgt. „Dumplings“, der 2005 in Berlin lief, war ein apokalyptischer Hit mit avantgardistischen Tendenzen und Embryonen, die verspeist wurden. „The Midnight After“, die Verfilmung eines im Internet publizierten Romans eines gewissen Mr. Pizza, ist populistischer als seine vorherigen Filme, die Figuren sind gröber gezeichnet, die Filmkritik wird sagen, seine anderen Filme waren besser; ich war aber doch sehr begeistert.

Eine Nacht in Hongkong, verschiedene Characters fahren in einem Minibus durch einen Tunnel, und als sie herauskommen, sind alle anderen Menschen fort. Was mag wohl geschehen sein? Auf unterschiedliche Art dezimieren sich die Businsassen; teils zerbröckeln sie oder entzünden sich selbst. David Bowie weiß vielleicht Rat. Sein Hit „Space Oddity“, den ein nerdiger junger Mann so karaokemäßig, supertoll mit einem Besen als Gitarre vorträgt, ist vielleicht der Schlüssel zum Geschehen. Ein Junkie geht auch mit einer Axt in der Schulter noch nicht nach Hause. Es ist ein großer Spaß; die Sitze im Zoo-Palast sind super; man lehnt sich zurück, die Rückenlehne lehnt sich auch zurück; so kann man fast im Liegen gucken.

Dass der Film zu keinem richtigen Ende kommt, sondern irgendwann abbricht, stört nicht wirklich; eine Fortsetzung ist geplant. Besonders schön und festlich war es dann, als Fruit Chan mit seinem Team auf der Bühne stand, oder danach, im Foyer, als sich chinesische und vor allem dänische Fans mit dem sympathischen Regisseur und seinen bezaubernden Schauspielern fotografieren ließen. Kurz überlegte ich, das auch zu tun, ließ es dann aber doch, weil ich am Morgen nicht geduscht hatte.

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