MICHAEL BRAUN ÜBER DIE KRISE DER ITALIENISCHEN REGIERUNG
: Spardiktat statt Operette

Europa dürfte sich wieder einmal die Augen reiben: Die italienische Regierung unter Enrico Letta steht unter mächtigem Druck, in ihrer bisherigen Zusammensetzung sind ihre Tage gezählt, ja der Ministerpräsident selbst riskiert seinen Job. Ausgerechnet aus den eigenen Reihen wird der Regierungschef stärker unter Druck gesetzt: von der Partito Democratico (PD) unter dem erst im Dezember gewählten Parteichef Matteo Renzi.

Dabei genießt Letta einen ausgezeichneten Ruf quer durch Europa. Seriös ist der Regierungschef, kein Dampfplauderer, in Ökonomie kennt er sich genauso aus wie in den EU-Institutionen, dazu spricht er hervorragend Englisch und Französisch. Kurzum: Ganz so wie schon sein Vorgänger Mario Monti ist Letta einer, der voll den europäischen Geschmack trifft.

Nachdem unter Silvio Berlusconi das Bild Italiens in der EU zur Operettenlandschaft geronnen war, gelang es Letta spielend, unter den europäischen Partnern das Vertrauen zu erzeugen, mit ihm sei Italien auf sicherem, für die anderen Länder gut kalkulierbarem Kurs. Dumm nur, dass Letta zugleich – wie zuvor schon Monti – den italienischen Geschmack so gar nicht trifft. Erstens nämlich war seine Regierung – ursprünglich gestützt auf eine Koalition der gemäßigt linken PD ausgerechnet mit dem Berlusconi-Lager – aus purer Not geboren; keiner in Italien wollte sie wirklich. Zweitens bezog sie dann ihre Legitimation aus dem Anspruch, schnell Reformen umzusetzen, vorneweg ein neues Wahlrecht. Doch ebendieser Anspruch wurde nicht erfüllt.

Lettas Kabinett war ein Kabinett des Stillstands, während treu die europäischen Sparparameter eingehalten wurden. Das mag Europa reichen – doch es ist entschieden zu wenig in einem Land, das mit den bitteren Folgen des tiefsten Wirtschaftsabsturzes seit 1945 kämpft.

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