piwik no script img

Rocken für die Meute

Erst wollte niemand mit, dann waren doch alle da: Die Zutons aus Liverpool haben am Donnerstag für ein gut gefülltes Lido gesorgt und spielten ein Konzert zwischen Charme und Massentauglichkeit

VON RENÉ HAMANN

Das Lido, ehemalige Seitenfiliale der Berliner Schaubühne, hat was von einer Schützenhalle. Das mag an den Holzdielen liegen oder daran, dass stets gefeiert wird, egal, was auf der Bühne passiert. So auch Donnerstagabend, als die Zutons mit den Duels als Vorband gastierten. Zu rechnen war nämlich nicht unbedingt mit einem gefüllten Haus, schließlich spielen die Zutons aus Liverpool hierzulande nicht die Rolle wie andere Bands von der Insel. Im Gegenteil, nicht mal ein Geheimtipp sind sie. Kein Wunder, dass erst niemand mit wollte aufs Konzert.

Und dann waren doch wieder alle da. Junge Mädchen, junge Jungs im Verhältnis von 60 zu 40, verstreut einige ältere Semester, die entspannt des Geschehens harrten, während die Duels oben ein grimmiges, manchmal überkandideltes Konzert ablieferten. Ein nicht unbedingt sympathisches Quintett, die Duels, dafür hatten sie zu viele Posen und zu wenig Inhalte, andererseits aber musikalisches Raffinement und eine Frau an den Keyboards, die eine angenehme 80er-Popnote ins Britrockwesen brachte. Wird man noch von hören.

Nach den Duels passierte lange nichts. Viel mehr: Es gab eine Umbaupause, die tief blicken ließ. Die Vorband wurde schnell abgeräumt, der Schlagzeuger sorgte höchstpersönlich für das Entfernen seines Instruments, danach werkelten allerlei Bühnenarbeiter lange an den Gerätschaften des Hauptacts herum. Mikrofone wurden gerichtet, Gitarren doppelt und dreifach gestimmt, zwei Saxofone erblickten das Bühnenlicht. Musiker scheinen heutzutage arbeitsintensiver als Tennisspieler zu sein – schließlich wurde ein Stapel frischer weißer Handtücher und mehrere kleine Wasserflaschen auf der Bühne verteilt. Irgendwann kam endlich der Mann mit den Zetteln, auf denen Spieltaktik und Reihenfolge notiert waren, und dann endlich die Band.

Nach drei Stücken war klar: Die Zutons spielten aufwandsgemäß. Eine leicht deplatzierte Version von 70er-Jahre-Stadionpop, irgendwas zwischen Bigband, Funk und Mainstreamrock, nur eben mit dem leisen Hauch Britpop, der die jungen Leute zieht. Dazu gab es Animation, also Aufforderung zum Mitklatschen, und Songs mit einfachen Themen, die nur lang genug wiederholt werden müssen, um die Meute zum Feiern zu kriegen. Die Heranführung der Jugend an den Stadionrock sozusagen. Es war seltsam. Wo war der Charme ihres Debüts „Who killed the Zutons“ hin? War am Ende Produzent und Lightning Seed Broudie allein für das Schmeichelhafte der Platte verantwortlich?

Aber als ob sie die Bedenken gehört hätten, wandelten sich die fünf für die folgenden Stücke ins Nette, Raffinierte, Gekonnte. Zeigten, dass sie die erste gute Band mit Saxofon seit X-Ray Spex sind, obwohl Saxofonistin Abi Harding nicht nur visuell als Candy Dulfer durchgehen könnte. Dafür wirkt Boyan Chowdhury wie eine Mischung aus Zappa und Santana, er hat auch die richtige Gitarre, nur dass er sie nicht so beherrscht wie seine Vorbilder. Sean Payne kann auf im Raubkatzenoutfit gestylten Trommeln spielen und Bassist Russell Pritchard eine Lockenpracht sein Eigen nennen. Sänger und Gitarrist David McCabe rutscht in schlechten Momenten in die gefährliche Nähe Mick Hucknalls, in den besten kann er es mit Jack White aufnehmen, hier und da klingt er auch wie der junge John Lennon. Die folgenden Songs jedenfalls, hauptsächlich „Secrets“ und das zurecht gefeierte „Valerie“, strahlten über den Moment hinaus. Durch Varianz, Charme, Ausdruck. Guter Gitarrenpop eben.

Leider rutschten die Zutons danach wieder ins Ambitionierte ab. Ihre neue Platte heißt „Tired of Hanging Around“, produziert hat Stephen Street, trotz guter Stücke weist sie keinen Überhit auf. Nach Ende des Sets muss man dabei von Glück reden: Das Erbe des Stadionrocks muss nicht angetreten werden, auch wenn sich die Zutons mit der Zugabe, einem Dub-Rock-Bigband-Monster, noch einmal nachhaltig für ein solches empfohlen haben. Vielleicht können sie auch einfach zu viel, die Zutons.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen