Viel London für wenig Geld

In sein, ohne arm zu werden: Kostenlose Museen und die Märkte im East End machen den Aufenthalt an der Themse zum Schnäppchentrip. Eine Hose gibt’s schon für fünf Pfund auf dem sonntäglichen Straßenmarkt in der Petticoat Lane

VON RAINER HEUBECK

Wer das Gemälde wohl in Auftrag gegeben habe, will Grant Simon Rogers wissen, als die Besuchergruppe vor dem Bild „Die Gesandten“ steht, das Hans Holbein der Jüngere im Frühjahr 1533 in London gemalt hatte. War es der französische Gesandte Jean de Dinteville, der seine Blicke aus dem Bild heraus direkt ins Publikum zu richten scheint? Oder war es Georges de Selve, ein junger Bischof, der auf der rechten Seite des Gemäldes dargestellt ist – und dessen früher Tod durch den verzerrt dargestellten Totenschädel am Fuße der beiden Figuren bereits vorausgesagt zu sein scheint? „Der Bischof ist nur Beiwerk, Jean de Dinteville hat für das Bild bezahlt“, erläutert Museumsführer und Maler Grant Simon Rogers. Etwas länger als eine Stunde dauert seine Führung durch die National Gallery am Londoner Trafalgar Square – und in dieser Zeit entschlüsselt er den interessierten Besuchern zwar nur drei Gemälde, diese aber intensiv. Seine Erläuterungen sind das Kontrastprogramm zu einem Museumsbesuch im Schnelldurchgang. Und das Beste daran – sowohl die Führung wie auch der Eintritt in die Gemäldesammlung, in der mehr als 2.300 Objekte ausgestellt werden, kostet nicht einen Penny. Dazu kommt: Die Nationalgalerie ist nur eines von knapp einem Dutzend Museen, die in London völlig kostenfrei besucht werden können – darunter auch die National Portrait Gallery, das British Museum mit seinen sehenswerten Sammlungen von Funden aus Griechenland, Ägypten und Südasien, die Kunstgalerien Tate Britain und Tate Modern sowie das Victoria & Albert Museum South Kensington in der Cromwell Road, in dem sich auch die nationale Skulpturensammlung befindet.

Auch für Besucher, die London vermeintlich schon kennen, lohnt ein Wiedersehen: Eine Bootsfahrt von der „City of London“ zur „City of Westminster“ (3 Pfund für Inhaber eines U-Bahn-Passes) zeigt, wie sehr sich die Stadt in den letzten Jahren verändert hat. Das moderne London wurde vor allem von Sir Norman Foster geprägt, der in Deutschland unter anderem die begehbare Kuppel des Berliner Reichstags entworfen hat. Lord Foster hat in London die am Südufer der Themse gelegene 45 Meter hohe, knollenartige City Hall gestaltet, in der eine 500 Meter lange Wendeltreppe nach oben führt. Noch spektakulärer ist die Hauptverwaltung des Rückversicherers Swiss Re in der St Mary Axe: Das 180 Meter hohe Foster-Gebäude, das im Jahr 2004 fertig gestellt wurde und von den Londonern stets nur „Gherkin“, die Gurke, genannt wird, hat aufgrund seiner zweischaligen Fassade einer besonders gute Energiebilanz und gilt als das erste „Öko-Hochhaus“ der Welt.

Doch aus London gibt es nicht nur neue Architekturtrends zu vermelden – auch ganze Stadtteile ändern ihr Image, werden vom Treffpunkt der Underdogs zum Szeneviertel. Beispielsweise das Londoner East End, einst ein Arbeiterquartier, aber auch ein Ort, der Einwanderern die Chance bot, eine neue Existenz aufzubauen – beispielsweise französischen Hugenotten, die sich nach der Bartholomäusnacht hier ansiedelten und als Händler durchschlugen, oder jüdischen Kaufleuten, die vor Pogromen in Osteuropa geflohen waren. Heute dominieren Einwohner aus Asien – und das East End trägt den Beinamen Bangla Town. Mittlerweile ist das East End nicht mehr nur ein Einwandererviertel, es ist auch Szene- und In-Viertel. Sei es, dass man sich zum Ausgehen in einem der zahlreichen preiswerten Currylokale trifft, vor denen meist einige Angestellte auf der Straße stehen, die Passanten ansprechen und zum Besuch animieren wollen; sei es, dass man coole In-Bars wie das „Vibes“ oder „93 Feet East“ besucht, die das East End zum Trendausgehgebiet machen. Doch auch wer keine Nachteule ist, kommt im East End auf seine Kosten – denn hier finden sich einige der interessantesten Märkte der Millionenmetropole an der Themse. Ein echter In-Markt mit Boutiquecharakter ist der „Old Spitalsfield Market“, der in hellen Markthallen untergebracht ist. Früher war hier ein reiner Obst- und Gemüsemarkt, doch seit 1991 werden Gürtel und T-Shirts, Handtaschen und Strumpfhosen, CDs, Bücher und Modeschmuck angeboten. Nicht weit davon entfernt, in der ehemaligen Truman-Brauerei, findet sich der alternativ angehauchte Sunday Up-Market, in dem Biokost und fair gehandelte Waren, aber auch modische Accessoires feilgeboten werden.

Im East End liegen Schnäppcheneinkauf und Luxusshopping nahe beieinander: Ein T-Shirt für 3 Pfund oder eine Hose für 5 Pfund, auf dem sonntäglichen Straßenmarkt in der Petticoat Lane, der sich vor allem an Einheimische und weniger an Touristen richtet, ist das kein Problem. Wer hingegen auf Vintage-Mode im Retrolook steht oder im „Junky Styling“-Shop von Annika Sanders und Jerry Seager schräge Recycling-Fashion erwerben will, ist schnell mit 100 Pfund für einen Rock dabei. Weit weniger kostenintensiv ist da ein Bummel über den größten Blumenmarkt Londons, den Flower Market in der Columbia Road, auf dem Blumen, Grünpflanzen und Gartenbedarf verkauft werden. Ähnlich wie am Hamburger Fischmarkt preisen die Händler lauthals ihre Waren an – und wer mehr kauft, bekommt seine Blumen natürlich billiger.