Der Biber-Vater

Der 73-jährige Peter-Wilhelm Lindemann bemüht sich in Mecklenburg um ein friedliches Nebeneinander von Mensch und Biber. Doch trotz Biber-Museum, trotz Biber-Tag neigen Forst-und Landwirte zuweilen zu rabiaten Lösungen. Und ein Nachfolger für Lindemann ist nicht in Sicht

von THOMAS JOERDENS

In dem leicht gewellten Landstrich zwischen Schwerin und Sternberg wechseln Wälder mit Feldern, Weiden, Streuobstwiesen. Dazwischen liegen Waldseen, Sölle, Moore. In dieser eiszeitlichen Endmoränenlandschaft im Naturpark Sternberger Seenland fühlen sich Rohrdommeln, Eisvögel, Fischotter und Biber wohl. Die Tiere leben wie in einem Paradies, das auch einige Menschen bewohnen. Einer heißt Peter-Wilhelm Lindemann. Sein Haus steht in dem Örtchen Alt-Necheln. Es zählt vier Einwohner und liegt an der Warnow, die 75 Kilometer weiter nördlich bei Warnemünde in die Ostsee fließt.

Peter-Wilhelm Lindemann, ein 73-jähriger braun gebrannter Landmann mit kurzen, grauen Haaren und hellblauen, wachen Augen, genießt nicht bloß die Reize der urwüchsigen Mecklenburger Region. Der Rentner fühlt sich auch verantwortlich für seine idyllische Umgebung. Er passt auf, informiert und versucht zu vermitteln. Vor allem in Sachen Biber.

Die Population steigt

Die putzigen Nager mit der großen Nase, den dunklen Knopfaugen und der charakteristischen „Kelle“ wurden Ende der 1980er Jahre im Mittleren Warnowtal ausgesetzt. Vor 200 Jahren waren sie dort wie überall in Deutschland so gut wie ausgerottet worden. Seit Mitte vergangenen Jahrhunderts steigt die Biberpopulation dank Naturschützern wieder. Die etwa 20 Elbebiber aus Magdeburg vermehrten sich an der Warnow rasch. Peter-Wilhelm Lindemann schätzt die Zahl heute auf 700 bis 1.000. Allerdings verbreiten die Biber nicht nur Freude.

Die größten Nagetiere Europas gestalten ohne Unterlass ihren Lebensraum. Die emsigen Landschaftsarchitekten bauen Dämme, um künstliche Stauseen anzulegen. In der Folge gibt es häufig Überschwemmungen, so dass in der näheren Umgebung Trecker oder ganze Felder und Wiesen absaufen. Biber fressen von den Feldern mit Vorliebe Mais, Zuckerrüben und räumen in Gärten Erdbeerfelder ab. Außerdem können die Tiere mit ihren beachtlichen Schneidezähnen in einer Nacht bis zu 15 Zentimeter dicke Bäume fällen. Die Vegetarier wollen die junge Rinde in den Kronen verputzen sowie Früchte und Knospen naschen. Das Holz verbaut „Meister Bockert“ in seinem Damm oder in seinem Bau, der Biberburg. Der Biber verschmäht so gut wie keinen Baum, der am Ufer wächst, und ernährt sich von der Rinde. In dicht besiedelten Bundesländern wie Bayern, wo die meisten deutschen Biber hausen, beeinflussen die pelzigen Baumeister mit ihren Aktionen zudem die Wasserstände in Kläranlagen oder lassen Fischteiche leer laufen.

Der Beschwichtiger

Im Sternberger Seenland ärgern sich Forstwirte, Bauern, Laubenpieper über umgelegte Bäume, Fressschäden, Überschwemmungen. An dieser Stelle tritt Peter-Wilhelm Lindemann auf den Plan und beschwichtigt: „Für alle Probleme mit Bibern gibt es eine Lösung, sofern die Menschen dazu bereit sind.“ Der studierte Landwirt, ehemalige LPG-Vorsitzende und passionierte Landschaftsschützer fördert seit Mitte der 1990er Jahre das Zusammenleben zwischen Mensch und Biber. Zum Beispiel indem er unter dem Dach des Naturschutzbundes (NABU) in Alt-Necheln das „Haus Biber & Co.“ einrichtete. Die Dauerausstellung hat Lindemann seitdem ständig ausgebaut. Gleich nach der Wende hatte der gebürtige Mecklenburger beschlossen, seinen Neigungen zu folgen und künftig „die Landschaft zu verschönern“. Er legte um das alte Gutshaus in Alt-Necheln einen Naturlehrpfad und ein Netz von Wanderwegen an. Und zur naturnahen Landschaftspflege besorgte er eine 100er-Herde Salers-Rinder aus dem französischen Zentralmassiv.

Neue Lebensräume

Wenn der „Biber-Vater“ Schulklassen, Wassertouristen und andere Besucher durch die nähere Umgebung oder die beiden hellen Ausstellungsräume im Biberhaus führt, räumt er mit der Mär auf, Biber seien Problem-Tiere oder gar Schädlinge. Das Gegenteil stimmt. Biber schaffen durch ihre Stauseen neue Lebensräume für Tiere, Pflanzen, Insekten und fördern mit ihren Bauwerken die Selbstreinigung des Wassers. Die guten Schwimmer fressen auch keine Fische, wie früher behauptet wurde, noch werden sie aufgrund ihrer Anzahl zu einer Plage. Leben zu viele Tiere in einem Gebiet, lässt die Vermehrung nach. Jungtiere suchen zu Wasser oder auf dem Landweg nach neuen Lebensräumen.

In dem 30 Kilometer langen Biber-Paradies um Alt-Necheln entlang der Warnow zählt Peter-Wilhelm Lindemann derzeit an die 30 Biberburgen, die er auf einer Wandkarte mit roten Fähnchen markiert hat. Er kennt außerdem zahlreiche verlassene Behausungen. Besucher sehen im Museum sauber abgenagte Hölzer, bräunliche Biberzähne, schuppige „Kellen“ und einen dichten Biberpelz mit 23.000 Haaren pro Quadratzentimeter (bei Menschen schwankt die Dichte zwischen 80 und 200 Haaren).

Beim Rundgang zeigt Peter-Wilhelm Lindemann auf ein kleines Modell in einer Vitrine und erklärt: „Mit zwei Drainagerohren in einem Biberdamm kann man den Wasserstand eines Bibersees senken und Überschwemmungen vermeiden.“ Draußen hinter dem Biberhaus präsentiert Peter-Wilhelm Lindemann eine selbst gebaute, begehbare Biberburg mit zwei Kammern und gibt weitere Tipps im Umgang mit den Nagern. Bäume lassen sich mit Zäunen aus Wilddraht schützen oder durch einen Anstrich aus Latexfarbe, in die Kiesel gemischt sind. „Das mag der Biber gar nicht“, sagt Peter-Wilhelm Lindemann und vergleicht den Effekt mit dem Biss in eine sandige Stulle. Der Biber-Kenner weiß noch mehr: Würden Land- und Forstwirte einen 20 Meter breiten Uferstreifen zwischen ihren Pflanzungen und dem Wasser einhalten, wären sie den Biber schnell los. Denn dessen Revier beschränkt sich an Land normalerweise auf den Uferbereich.

Solche Ratschläge tauschen 100 bis 200 Experten und Betroffene beim Biber-Tag aus, den Peter-Wilhelm Lindemann seit sieben Jahren in Alt-Necheln veranstaltet. Zufrieden wirkt der ehrenamtliche Biber-Manager dennoch nicht. „Einige Land- und Forstwirte setzen solche Hinweise zwar um. Aber das kostet Zeit und man muss sich auch anschließend kümmern. Das ist den meisten jedoch zu viel“, klagt Peter-Wilhelm Lindemann. Seiner Erfahrung nach sind nur wenige Menschen für ein nachsichtiges Nebeneinander mit den Bibern bereit. Und so kommt es durchaus vor, dass erboste Land- und Forstwirte trotz Verbots Biberburgen zerstören. Dabei interessiert nicht, dass zuerst die Menschen die Biber aus ihrem angestammten Lebensräumen verdrängt haben, so sagt es Lindemann. Gejagt würden aber glücklicherweise kaum welche der unter Naturschutz stehenden Tiere. In den vergangenen fünf Jahre sei an der Warnow ein Biber illegal erschossen worden.

Kein Nachfolger in Sicht

Peter-Wilhelm Lindemann bleibt am Ball und wirbt auch weiterhin für ein friedvolles Miteinander. Dabei treibt den Mann noch eine ganz andere Sorge um. Als Einzelkämpfer steht er in Mecklenburg ziemlich allein auf weiter Feld und Flur und sucht für seine Naturschutzstation seit langem „krampfhaft einen Nachfolger.“ Doch der ist in der dünn besiedelten Gegend nicht in Sicht. Peter-Wilhelm Lindemann ist froh, dass ihn zumindest ein paar Ein-Euro-Jobber im Sekretariat und bei der Gartenarbeit unterstützen. Aber mittelfristig genügt das nicht. Und über Arbeitsmangel kann sich Lindemann nicht beklagen. Er schaut auf die Uhr – und muss das Gespräch beenden. Dann steigt er auf einen Trecker und knattert auf eine Wiese, Heu machen für die französischen Rinder.

Naturschutzstation „Haus Biber & Co.“ Alt-Necheln, Telefon 03 84 83 - 2 08 45 oder 2 96 48. Unter www.bibermanagement.de findet sich „Die Biberburg“, eine Webseite rund um den Biber im Internet.