Endlich abschalten

Post aus Nahost (8): Ron Kehrman wollte eigentlich Urlaub machen vom Krieg – aber das gelingt ihm nicht

Heute ist der 24. oder 25. Tag des Krieges, ich habe aufgehört zu zählen. Ich bin unterwegs und doch zu Hause: Eigentlich mache ich Urlaub, meinen Sommerurlaub – aber meine Gedanken sind woanders, in Haifa. Ich muss mir einreden, dass Israel diesen Kampf auch ohne mich bestehen wird. Ich bin nicht einmal mehr Reservist, und es gibt nichts, was ich in Haifa tun könnte. Ich bin unterwegs, in meinem jährlichen Sommerurlaub, wo ich meinen Kopf frei kriegen, mich erholen und neue Kräfte sammeln sollte, genau wie jeder andere „Bewohner der freien Welt“.

Aber ich kann nicht abschalten. Ich muss die Nachrichten sehen. Ich muss ständig ins Internet. Sogar auf der Straße ertappe ich mich dabei, auf die Radionachrichten zu hören.

Jede Stunde passiert etwas Neues, und es klingt nicht gut. Man hört über Tote in Haifa und stellt sich Fragen: welcher Stadtteil? Könnte es jemand sein, den ich kenne? Ein Freund hat mich gewarnt, bevor ich abgefahren bin. Er sagte mir, dass die Nachrichten aus der Distanz dramatischer klingen. Ich muss mich immer wieder selbst daran erinnern, dass ich entspannen sollte. Leichter gesagt als getan.

Hin und wieder höre ich die Sirenen heulen. Aber im Urlaub gibt es keine Sirenen, sie heulen nur in meinem Kopf. Wenn ich ein explosionsartiges Geräusch höre, schrecke ich auf. Wenn du Flugzeugmotoren hörst, sagte mir mein Freund, schau nicht hin. Es ist nur ein Passagierflugzeug. Ich bin unterwegs, aber meine Gedanken sind in Haifa.

Ich lese die Kolumne von Iman aus Beirut. Ich lese, dass es kein Benzin mehr gibt und wie die Leute in Beirut leben und denken. Ich bemitleide uns, dass wir in einer so schrecklichen Lage sind: eine menschengemachte Situation, keine Naturkatastrophe. Ich habe noch nie mit Iman gesprochen, aber ich bin mir sicher, dass sie nicht so leben möchte, wie sie jetzt lebt, bedroht von Bomben, genauso wenig wie ich bedroht von Raketen leben möchte. Wir beide würden lieber das Leben fortsetzen, das wir vor dem 12. Juli geführt haben, dem Tag, an dem dieser Krieg begonnen hat. In den letzten drei Wochen haben wir so viel Zerstörung erlebt, so viele Tote und so viel Hass. Werden wir jemals in der Lage sein, die Kluft wieder zu schließen? Wie lange wird es dauern, bis wir wieder so leben können wir vor dem 12. Juli? Wird es überhaupt möglich sein? Ich weiß die Antwort nicht, aber ich befürchte, sie ist: nein.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen und sehe Fußballfans auf dem Weg zum Stadion. Alle sind sehr gespannt auf den Ausgang des Spiels. Sie wollen, dass ihr Team gewinnt! Ahnen sie, wie glücklich sie sein können, dass dies ihre wichtigste Sorge ist? Ich hoffe, dass sie es zu schätzen wissen.

Ich muss jetzt Schluss machen. Die Nachrichten beginnen gleich. Ich hoffe, dass dieser Krieg bald vorbei sein wird und ich schließlich doch noch in der Lage sein werde, ein paar Tage abzuschalten.

Ron Kehrman (Haifa) schreibt im Wechsel mit Iman Humaidan (Beirut)Aus dem Englischen von Michael Brake