DIE DEUTSCHEN FÜHREN ÜBER DEN NAHOSTKRIEG SCHEINDEBATTEN
: Ernste Sorgen um uns selbst

Das Stichwort fehlte noch. Ausführlich machten sich großkoalitionäre Politiker von Jörg Schönbohm (CDU) bis Gernot Erler (SPD) am Wochenende Gedanken, welche Auswirkungen der Krieg im Nahen Osten auf die so genannte Sicherheitslage in Deutschland haben würde. Erler orakelte über eine „Radikalisierung“ der in Deutschland lebenden Araber, Schönbohm mutmaßte über einen „Anschlag in Europa“, sollte es zu einer „Liquidierung“ von Hisbollah-Chef Nasrallah kommen.

Bitte keinen Terror, außerdem keine libanesischen Flüchtlinge in Deutschland und keine deutschen Soldaten in Nahost: Das ist so ungefähr der Dreiklang, auf den sich parteiübergreifend nahezu alle Politiker verständigen können. Stets leitet ein „wenn“ oder „falls“ solche Sätze ein, die häufigste Verbform ist der Konjunktiv zwei, auch „Irrealis“ genannt. Das weist die Redebeiträge als Teil einer Als-ob-Debatte aus.

Nicht ernste Sorge um das Schicksal von Israelis und Arabern ist das Leitmotiv solcher Einlassungen, sondern der entschiedene Wille, sich selbst von einem so unübersichtlichen Gelände nach Möglichkeit fernzuhalten. Nun ist der Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, zwar durchaus legitim. Dann sollte man das aber offen sagen oder, was in der Politik offenbar schwer möglich ist, lieber schweigen – statt sich aufs hohe Ross von Moral und Geschichtsphilosophie zu begeben.

Das gilt insbesondere für die Diskussion über einen „möglichen“ – noch so ein Als-ob-Wort! – Einsatz der Bundeswehr im Südlibanon. Eigentlich galt das Argument, deutsches Militär dürfe „aus historischen Gründen“ nicht außerhalb der Landesgrenzen zum Einsatz kommen, spätestens seit dem Kosovokrieg von 1999 als verbraucht. Mit Bezug aufs Heilige Land feierte diese bequeme Verbindung zwischen Moral und Ruhebedürfnis jetzt eine letzte Wiederauferstehung, bis ihr der israelische Ministerpräsident in seinen Interviews vom Wochenende die Grundlage entzog. Seither ist klar: Wer in Deutschland über den Nahen Osten reden will, sollte auch wirklich über den Nahen Osten reden, zum Beispiel über Sinn und Unsinn einer solchen Schutztruppe – und keine innerdeutschen Scheindebatten führen. RALPH BOLLMANN