berliner szenen Das Alphabet der Stadt

S wie Schöneberg

Über dem BVG-Gebäude weht die Cholerafahne. In einer Seitenstraße am Kleistpark sitzt eine tätowierte Reisebüroangestellte im offenen Schaufenster und lackiert sich die Fingernägel. Vielleicht hat sie noch das Sirren aus der Schmerzstube im Ohr, das ewige Sirren der Nadeln, vielleicht hat sie ihr Tattoo im Laden in der Hauptstraße 155 machen lassen, da wo früher der Sänger David Bowie gewohnt hat. Kein Schild weist darauf hin.

Mit WM-Restposten beflaggt die Mietskästen in der Pallasstraße. Wohnen am Hochbunker. Schöneberg war in den 70er-Jahren mal in, die Architektur sieht noch einmal zwanzig Jahre älter aus, ein Paradies für Baulückenstopfer. Schöneberg gibt sich regenbogenfarben, Laura Tonke wohnt auch hier irgendwo, ausgeschildert ist es nicht. Vor einem Haus aus Karamell steht ein verrosteter Fiat, am Bayerischen Platz hat jemand ein hellblaues U-Boot zur U-Bahn-Station gemacht. In der Auslage des „Bücherwurms“ liegt der Bestseller „Kochen ohne Rezept“. Daneben befindet sich die „Schuhpflege des Westens“. Um die Ecke, in einer weitaus schniekeren Gegend, hat einmal der Dichter und Hautarzt Gottfried Benn gewohnt, das Haus Bozener Str. 20 weist stolz darauf hin. Eine Ärztegegend ist dies immer noch. Altbauten, diskret hinter die von Bäumen gesäumten Straßen zurückgezogen, stattlich und feist.

Sommerferien in Schöneberg: Zurück durch die staubtrockene Grunewaldstraße tapern und nicht viel sehen. Kaum Verkehr, Anwohner, Souvenirläden. Ein junger Typ pfeift einer Radfahrerin mit Kindersitz hinterher, man glaubt noch an die Zukunft. Es ist früher Nachmittag. Die Pinguin Bar hat zu, aber vor dem Café M in der Goltzstraße sind genügend Plätze frei. Es gibt Milchkaffee auf Eis. RENÉ HAMANN