Wichtig ist nur der Mond

Auf ihrem neuen Album heulen die Hidden Cameras mit den Wölfen und wollen keine Band mehr sein, sondern ein „Kult“. Ihr Mastermind Joel Gibb ist just von Toronto nach Berlin umgesiedelt und mag statt schwulem Indie-Stardom jetzt lieber Magie

VON CHRISTOPH BRAUN

Joel Gibb liegt in einem Hotelbett in Göteborg und lässt den Samstagmorgen entspannt angehen. Die Nacht hat er in einem Studio verbracht, wo die Hidden Cameras einen Song für ein Arthur-Russell-Tribute-Album aufnehmen. Die Hidden Cameras – das ist zunächst einmal Joel Gibb. Locker über 1,90, sieht gut aus. Er lässt sich viel Zeit beim Reden. Einminütiges Schweigen ist mit ihm nie eine peinliche Situation. Gibb ist schwul, hat aber keine Lust mehr, seinen Sex an die mediale Glocke zu hängen. Jemand, der ein Lied wie „Ban Marriage“ („Verbietet die Ehe“) verfasst hat, musste immer mal wieder über Geschlechterdinge reden.

Doch für seinen Geschmack haben die Hidden Cameras jetzt lange genug die schwule Indie-Band gegeben. „Awoo“ – mit einem Wolfsschrei haben sie ihr neues, drittes Album betitelt. Das sollte eigentlich unter Berücksichtigung aller Marktgesetze der Durchbruch der Band werden: Denn mit ihren ersten beiden Alben „The Smell Of Our Own“ (2003) und „Mississauga Goddam“ (2004) haben sie immerhin schon für reichlich legitimen Jubel in der Indiefachpresse und sogar im Stern gesorgt. Denn sie hatten die Melodien, sie hatten die Mitsingrefrains, und wo immer sie spielten, brachten sie die Leute zum Tanzen – und das mit ziemlich klassischem Folkpop.

Jetzt aber, wo „Awoo“, diese wieder so sauschöne Platte da ist, ist eins klar: Die Hidden Cameras werden weder die neuen Belle & Sebastian noch sonst eine Indiepop-Referenz mit Chartpotenzial. Dazu taugt ihre Ikonografie einfach nicht, mit der sie Do-it-yourself weiterhin den Vorzug geben vor unschuldigen Niedlichkeitsstereotypen à la Kätzchen auf dem Arm.

Das Cover von „Awoo“ zeigt gleich, in welche Richtung es heuer geht: Gibb hat einen Holzzaun fotografiert, aus dem eine Mondsichel ausgeschnitten ist. Kommt ein bisschen rüber wie Naturverehrung auf heidnische Art. Auch die Songs handeln dann von heulenden Wölfen, vom Abnehmen des Mondes und vom Buckel als Metapher des Lebens. „Ich versuche bloß, etwas Magie in die Platte zu stecken“, kommentiert Joel Gibb. Wenn er aber die Hidden Cameras „als Kult, nicht als Band“ beschreibt, dann wird deutlich, dass er ein Spiel treibt mit derlei neoheidnischer Programmatik, dass ihm daran liegt, starken Begriffen durch Vereinnahmung eine neue Bedeutung zu geben.

Und so können sich die Hidden Cameras als „Kult“ einfacher als Gegenbegriff zur klassischen „Band“ inszenieren – als offenes Gefüge nämlich. So treten sie dann auch auf: Bis zu dreizehn Musiker und Musikerinnen können als Hidden Cameras auf der Bühne stehen, Go-go-Dancer in Fantasiekostümen nicht mitgerechnet. Vor allem aber wechselt die Besetzung: Vor allem bei Festivals nämlich liebt es Gibb, lokale Musiker und Musikerinnen mitspielen zu lassen. Im Herbst sollen acht bis neun Leute die Grundlage der Tourbesetzung sein – vor Ort ergänzbar um die Zahl X.

Spielen werden sie neben bereits zu Klassikern gereiften Songs wie „I Believe In The Good Of Life“ oder eben „Ban Marriage“ die neuen Stücke von „Awoo“. Gitarrengeschrammel plus hingetupfte Vibrafone und gezupfte Mandolinen also, eine Musik, die sich nahtlos einreiht ins Repertoire der Gruppe. Fast wirkt es nur wie eine Nuance im Band-, pardon, Kult-Sound, dass Gibb neuerdings etwas mehr mit seiner Stimme ausprobiert und dabei stärker aus sich herausgeht. Auffällig ist, dass Titel- und Schlussstück harmonisch völlig identisch gestrickt sind. Gibb rückt raus: „Fast alle meine Songs beruhen auf den gleichen Akkordfolgen. Im Grunde fertige ich bloß Mash-ups eines Themas an.“ Eine Taktik, die ein Stück wie „Heji“ mit seiner Stop-and-Go-Dynamik trotzdem nicht hindern wird, ein neuer Klassiker in der Studi-Disko zu werden – in der Tradition von Madness’ „One Step Beyond“.

Gerade erst ist „Awoo“ erschienen, aber Gibb schreibt schon wieder an drei neuen Alben – gleichzeitig. Das eine wird „eher countrymäßig“, das nächste „ziemlich psychedelisch“, und auf dem dritten kämen sogar Synthesizer und Drum Machines zum Einsatz. Er werkelt daran vor allem in Berlin, wohin er von Toronto aus umgesiedelt ist – der Liebe wegen und weil „mir alles dort viel zu vertraut geworden ist“. Immerhin hat der heute 29-Jährige auch seit seiner Geburt, bis auf einen kleinen Berlin-Testlauf vor zwei Jahren, immer in Toronto gelebt.

Im Hotelzimmer kommt jetzt Unruhe auf. Sie warten auf Jens Lekman. Der Singer und Songwriter ist in Schweden ein Star und gehört auch schon längst zum Cult Of The Hidden Cameras. „Wo bleibt er nur?“, fragt Gibb, kurz nervös. Dann lässt er sich eine kleine Pause. „Na ja, es gibt Wichtigeres. Zum Beispiel den Mond.“ Joel Gibb sagt das sogar, ohne hinterher zu lachen.

The Hidden Cameras: „Awoo“ (Rough Trade Records / Sanctuary)Konzert am 3. 11. in der Volksbühne