Zahlen, Karten und Zement
Feiern und rechnen

AUFTAKT Mit dem Spiel des FC Bayern München gegen den VfL Wolfsburg startet die Fußball-Bundesliga heute Abend in die neue Spielzeit

31 Jahre war Karl-Heinz-Rummenigge alt, als er 1997 von Inter Mailand in die Schweiz wechselte. Er verbrachte den Herbst seiner Karriere bei Servette Genf. 33 Jahre alt ist Michael Ballack. Er ist einer der neuen Stars der Liga. Lässt da einer nach dem Abschied aus der Premier League seine Karriere geruhsam in der deutschen Eliteklasse ausklingen? Und Raúl, 33, der Neu-Schalker, hat er seine Karriere nicht eigentlich schon hinter sich? Aber was ist dann mit Bayerns Franzosen Franck Ribéry? Der ist erst 27 und hat gerade bis 2015 verlängert. Und Arjen Robben, 26, ist so richtig groß erst geworden, seit er in München spielt. Was ist sie nun die Bundesliga? Hospiz für sterbende Karrieren oder Heimstätte wahrer Weltfußballer?

Den Fans ist das eh wurscht. Die strömen nur so in die Stadien. Die Liga feiert sich Woche für Woche in immer mehr nagelneuen oder aufgehübschten Stadien. Jede Saison wird ein neuer Zuschauerrekord aufgestellt. Fast 13 Millionen Fans waren in der vergangenen Saison Gast in einem Bundesligastadion. Gut gelaunt präsentierten sich deshalb am Mittwoch in Berlin die Vertreter des Ligaverbands DFL. Die feierte sich noch einmal für die Zahlen der Saison 2008/2009, in der die Klubs der ersten und zweiten Bundesliga erstmals mehr als 2 Milliarden Euro erwirtschafteten.

Auch die Ergebnisse einer Umfrage unter den Profiklubs, die die Wirtschaftsberater von Ernst & Young ebenfalls am Mittwoch vorgestellt haben, konnte niemandem die Laune verderben. Danach hätten fast die Hälfte der Profiklubs im abgelaufenen Geschäftsjahr rote Zahlen geschrieben. Nervös machen kann die Liga auch die Tatsache nicht, dass der Bezahlsender Sky in der kommenden Saison mit der Übertragung der Bundesliga wieder keine Gewinne machen wird. Die Haltung der Liga: die werden es irgendwie schaffen.

Ein anderes Risiko für die boomende Liga sind die stetig steigenden Spielergehälter. Beinahe 50 Prozent des Umsatzes wandert auf die Konten der Profis. Und während man beim Schachern auf dem Transfermarkt auch mal ein Plus machen kann, ist das Geld für die Gehälter und Prämien für immer perdu, wenn es einmal ausgegeben ist. Dass ein Spieler wie Raul ablösefrei nach Schalke wechselt, macht ihn also noch lange nicht zum Schnäppchen.

Gute Kicker sind der Bundesliga mehr wert als früher. Mit Mesut Özil, Sami Khedira und Jérôme Boateng haben nur drei Spieler des gefeierten WM-Teams einen Vertrag im Ausland unterschrieben. Es ist nicht allzu lange her, da konnte nicht einmal der FC Bayern seine besten Spieler halten. Heute ist es beinahe selbstverständlich, dass Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Thomas Müller in München bleiben. Für Uli Hoeneß, den Bayern-Präsidenten, steht deshalb sowieso fest, dass die Bundesliga mit ihrem kaufmännisch organisierten Spielbetrieb auf lange Sicht den von Mäzenen abhängigen Großvereinen aus England, Italien und Spanien überlegen ist. Später vielleicht mal. Jetzt ist erst mal Meisterschaft. ANDREAS RÜTTENAUER

Pfeifen und laufen lassen

Herbert Fandel, der Vorsitzende der neu gegründeten DFB-Schiedsrichterkommission, wirft gerne einen Blick zurück. Deutschlands oberster Schiri zählt auf: Mit 41 Feldverweisen gab es in der Serie 2009/2010 einen historischen Tiefstand seit der Einführung der Gelb/Roten Karten zur Saison 1990/1991. Die Zahl der Fouls pro Spiel sank in den vergangenen vier Jahren von 38 auf 34. Insgesamt sind das auf eine Saison gerechnet 1.530 Spielunterbrechungen weniger. „Diese erfreuliche Tendenz wird sich fortführen“, so Fandel in der DFB-Schiedsrichterzeitung. Die Gründe für diesen Fairnessschub sind vielfältig. Eine neue Generation von Bundesliga-Trainern hat erkannt, dass es erfolgreicher ist, ein Spiel selber zu gestalten, als das des Gegners durch Fouls zu zerstören.

Aber auch die Schiedsrichtergilde hat einen bemerkenswerten Wandel hinter sich. Hielt sie sich bis vor wenigen Jahren noch sklavisch und überaus kleinlich an ihr dickes Regelbuch, hat sich bei ihr langsam, aber stetig eine neue Spielauffassung durchgesetzt: „Laufen lassen, solange es geht.“ „Die Schiedsrichter schauen zunächst, was die Spieler ihnen anbieten, und treffen dann ihre Entscheidung aus der Spielentwicklung heraus“, erklärt Lutz Lüttig, eine Art Pressesprecher der Bundesliga-Schiedsrichter. Vorbei sind die Zeiten, wo die Referees vor allem eines im Sinn hatten: Angst und Schrecken zu verbreiten.

Der DFB hat seine Referee-Ausbildung reformiert und an die neuen Herausforderungen angepasst. Früher kam in den Schiedsrichterlehrgängen nur wenig Freude auf. Erst wurden in endloser Reihe einzelne Spielszenen an die Wand gebeamt. Dann durfte noch darüber diskutiert werden, welche Karte zu ziehen sei. Rot oder Gelb, mehr jedoch nicht. Heute werden ganze Spielentwicklungen analysiert, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen.

Insgesamt 21 Bundesliga-Schiedsrichter hat Herbert Fandel für die neue Saison berufen. Er wird sie übrigens allein von Spieltag zu Spieltag ansetzen. Lutz Wagner und Helmut Fleischer gehören nicht mehr dazu. Sie sind in den Ruhestand gegangen. Dafür tauchen zwei Neulinge auf. Christian Dingert, 33, und der drei Jahre jüngere Tobias Welz werden ihr Bundesligadebüt geben. Beide haben bereits sechs Jahre lang Spiele in der Zweiten Liga geleitet. Die Zeit der Senkrechtsstarter ist vorbei. Mit dem jungen Robert Hoyzer, der Auslöser des Wettskandals im Jahr 2005, aber wohl auch mit Michael Kempter, der den Amerell-Skandal ins Rollen brachte, hat man im DFB-Schiedsrichterwesen keine guten Erfahrungen gemacht. Schiedsrichter sollen fortan charakterlich reif und gefestigt sein sowie einen festen Beruf ausüben, bevor sie in der Bundesliga pfeifen dürfen. Das soll helfen, „wenn von falscher Seite Geld auf den Tisch gelegt wird“, wie Lutz Lüttig sagt. Michael Kempter übrigens hat der DFB aus der Ersten Bundesliga abgezogen. Er soll sich in der Dritten Liga neu beweisen. „Persönlich stärken“, wie es aus Schiedsrichterkreisen heißt.

TORSTEN HASELBAUER

Kicken im Vakuum

„Ich habe keine Angst.“ Das sagte Mesut Özil nach seinem Wechsel von Werder Bremen zu Real Madrid. Er war auf den Konkurrenzkampf, dem er in Madrid ausgesetzt sein wird, angesprochen worden. Herrscht in der Bundesliga Angst? Der Erfolgsdruck, der in der deutschen Eliteliga herrscht, ist durchaus mit dem innerhalb der Mannschaft des spanischen Vizemeisters vergleichbar.

In den letzten Jahren hat sich die Bundesliga mehr und mehr zu einer Klassengesellschaft entwickelt. Hinter dem FC Bayern München gibt es ein festes Feld von sieben Klubs, die die Plätze zwei bis acht unter sich ausmachen. Natürlich sind auch diese Vereine nicht vor dem Absturz gefeit – Beispiel Hertha BSC. An dem generellen Eindruck, dass die Kräfteverhältnisse in der Liga zementiert sind, ändert dies jedoch nichts. Als Sinnbild dient die Abschlusstabelle der abgelaufenen Saison. Alle Klubs auf den Plätzen eins bis acht hatten als Saisonziel das Erreichen des internationalen Wettbewerbs ausgegeben. Dort angekommen sind nur die ersten sechs. Für den VfL Wolfsburg und den Hamburger SV war das Verfehlen der internationalen Plätze eine Katastrophe. Angesichts des Misserfolgs pumpt Volkswagen gerade weitere Millionen in den Verein unter der klaren Richtlinie, im nächsten Jahr wieder international spielen zu müssen. Der Hamburger SV wird sich ebenfalls ein weiteres Jahr ohne die Einnahmen aus den Uefa-Wettbewerben nicht leisten können. Der Druck ist enorm.

Dieser brutale Verdrängungswettbewerb hat ein Vakuum geschaffen. Darin befindet sich eine Handvoll Klubs, die zu klein sind für die ersten acht Plätze, aber auch zu groß für den Abstiegskampf. Klubs wie 1899 Hoffenheim, Eintracht Frankfurt, 1. FC Köln und Hannover 96 sind der Zweiten Liga entwachsen. Der Etat von Eintracht Frankfurt wurde gerade auf 27 Millionen Euro erhöht. Damit ist er so hoch wie der Preis, den die Bayern im letzten Jahr für Arjen Robben zahlten. In Frankfurt war die Erhöhung eine Sensation, es hieß, Vorstandsvorsitzender Heribert Bruchagen „erfüllt Trainer Michael Skibbe all seine Wünsche“. Man ist bescheiden geworden.

In Hoffenheim, wo man vor zwei Jahren in das erste Bundesligajahr startete und nach nicht einmal sechs Monaten Herbstmeister wurde, haben sich die Erwartungen ebenfalls der Realität angepasst. Trainer Ralf Rangnick erklärte in der Sommerpause, dass er nicht von Platzierungen sprechen wolle, sondern von seiner Mannschaft erwarte, dass sie wieder den erfrischenden Fußball spiele, der zum Markenzeichen Hoffenheims wurde. Davon war sie letzte Saison so weit entfernt wie Hannover 96 von den ersten acht Plätzen.

Doch von spanischen Verhältnissen ist man in Deutschland weit entfernt. In der Primera Division wurde Barcelona mit 99 Punkten Meister, vor Real mit 96 Punkten. Dritter wurde der FC Valencia mit mehr als 20 Punkten Rückstand. Zementierte Langeweile. Aber das ist ab jetzt Özils Problem. MILAN JÄGER