Computer spucken Dinos aus

Das Naturkundemuseum lässt derzeit seine Saurierstars restaurieren. Kanadische Forscher scannen dafür dreidimensional die Knochen, und ein Drucker formt Gipsknochen erstmals in Originalgröße

Nächstes Jahr steht der Brachiosaurus dann nicht mehr o-beinig herum

Von THOMAS JOERDENS

Die Szene ist recht unspektakulär: Ein schwarzer Kasten mit einer Linse ist auf einen versteinerten Knochen gerichtet, der auf einem Tisch steht. Dahinter sitzt ein Mann und dreht den braunen Klumpen immer wieder. Nach jeder Bewegung blinkt der Kasten rot, und der Mann betrachtet seinen Laptop. Auf dem Bildschirm taucht eine Art Detailausschnitt auf.

David Mackie ist aber kein Fotograf, sondern er scannt Dinosaurier. Sein Gerät lasert die Oberfläche des Knochens und schafft ein nahezu identisches dreidimensionales Abbild. Und der Forscher aus Kanada kann noch mehr vorweisen: Sobald er den fertigen Scan mit einem Spezialdrucker verbindet, formt dieser aus einem Gips-Kunststoff-Pulver eine quasi exakte Knochenkopie.

Im vierten Stock einer ehemaligen Fabrikhalle in Moabit kopiert Mackie mit diesem Verfahren 150 Millionen Jahre alte Dinosaurierknochen aus dem Jura. Die Ergebnisse sind sensationell. Details und Oberflächenbeschaffenheit stimmen zu 98 Prozent mit denen des Tieres überein. Die jüngste Druckergeneration der „Rapid Prototype Printer“ können die Repliken sogar in Originalgröße formen. Bisher waren nur kleinere Modelle möglich. Der Scanspezialist Mackie gehört zur kanadischen Firma „Research Casting International“ (RCI). Deren Mitarbeiter haben vor eineinhalb Jahren im Auftrag des Museums für Naturkunde den Saurierbestand zerlegt. Im Rahmen der Sanierung und Neugestaltung von Teilen des Museums wurden die Urviecher daraufhin nach Moabit ausgelagert.

Auf dem Boden in der Ausweichhalle liegen nun die mächtigen Gebeine, die meterlangen Rippen, die faustgroßen Wirbel des demontierten Museumsstars Brachiosaurus brancai. Der Dino zählt zu den gewaltigsten Landtieren, die jemals über die Erde getrampelt sind, und er ist der größte je in einem Museum rekonstruierte Saurier. Das Skelett ist fast 23 Meter lang und etwa 12 Meter hoch. RCI-Konservatoren restaurieren auch die Reste der übrigen Tiere aus dem Sauriersaal und scannen außerdem den Stachelschwanzsaurier Kentrurosaurus und den Räuber Elaphrosaurus.

Das Sauriertrio erhält aus unterschiedlichen Gründen neue Knochen. Manche der versteinerten Originalknochen sind so zerbrechlich, dass sie für einen Neuaufbau nicht mehr taugen. In anderen Fällen sollen bereits vorhandene Gipsnachbauten ersetzt werden, weil sie nicht detailgetreu sind. In dieser Hinsicht ist das Scan-und-Druck-Verfahren, das weltweit erst in wenigen Museen erprobt wurde, unschlagbar. Die 3D-Technik ermöglicht außerdem, Verformungen der Knochen zu korrigieren. Und David Mackie kann unvollständige Skelette mit seinem Apparat komplettieren.

Fehlt ihm bei einem Dino beispielsweise ein Vorderbein, nimmt er das vorhandene und spiegelt es. Bei einfachen Knochen beträgt die Scanzeit zehn Minuten. Am aufwändigsten war für David Mackie und seine Kollegen das Einlesen des Brachiosaurus-Schädels – für die Arbeit der Forscher jedoch unverzichtbar. Der über ein Zentner schwere Steinknochen ist so filigran und heterogen aufgebaut, dass die Scanprofis etwa 1.000 Aufnahmen machen mussten und dafür zwei Wochen benötigten. Die 5 bis 10 Kilo wiegende Schädelreplik wird die bisherige Kopie ersetzen, die dem Original nur entfernt ähnelt.

Von Mai bis September wird David Mackie rund 600 Knochen scannen. Theoretisch können die Museumspaläontologen mit Hilfe einer Datenbank jedes Teil des Tieres ersetzen. Doch für die Saurierrestaurierung wechseln die Wissenschaftler zunächst nur ausgewählte Knochen aus. Denn die Form auszudrucken, verschlingt viel Geld. Der Brachiosaurus-Schädel kostet allein 15.000 Euro.

Im Juli nächsten Jahres sollen die Dinos ins Museum zurückkehren – dem Original getreuer und aufbereitet für die nächsten 100 Jahre. Die Kuratoren bauen dann die Skelette nach neuesten Erkenntnissen der Saurierforschung auf. Der riesige Brachiosaurus steht zukünftig nicht mehr o-beinig wie ein Fußballer herum, sondern mit durchgedrückten Knien. Und der Schwanz schwebt einen Meter über dem Boden. Die Paläontologen versprechen außerdem eine „aufgelockerte, dynamische Ausstellung“, weil sie die Saurierskelette in gehende Bewegungen versetzen und leicht schräg drapieren wollen.

Mit Geld aus der Lottostiftung und aus dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung erweitern die Museumsleute ihre Ausstellungsfläche derzeit um zwei Räume. Während des Umbaus und der Instandsetzungsarbeiten wird neben dem Sauriersaal ebenfalls der Evolutionssaal modernisiert und auf den neuesten Wissenschaftsstand gebracht. Zum Jahreswechsel beginnt der Wiederaufbau des Ostflügels, eine der letzten Kriegsruinen in Berlins Mitte. Bis 2010, dem 200-jährigen Jubiläum der Humboldt-Universität, soll in dem Gebäudeteil ein Archiv einziehen.

Museum für Naturkunde / Zentralinstitut der Humboldt-Universität, Invalidenstraße 43, 10115 Berlin-Mitte www.naturkundemuseum-berlin.de